Multiple Sklerose

Encephaylomyelitis disseminata

Ätiologie

  • T-Zellen vermittelte Autoimmunerkrankung mit demyelinisierender und axonaler Schädigung, Mitbeteiligung von genetischen und Umweltfaktoren

Epidemiologie

  • Prävalenz
    • Deutschland: Ca. 100/10.0000
    • Frankreich ca. 150/100.000
    • Norwegen 200/100.000
    • Tendenz in den letzten Jahren steigend
  • w>m, ca. 2:1
  • erhöhtes Risiko bei Auftreten in der Familie

Komorbiditäten

  • Ca. 20% mit anderen Autoimmunerkrankungen (am häufigsten Hashimoto-Thyreoiditis)
  • Depressionen bei ca. 20% der Multiple Sklerose Patienten
  • Angststörungen bei ca. 8%
  • Bipolare Erkrankungen bei ca. 4-5%

Symptome

Augen

Retrobulbärneuritis/Neuritis nervi optici

  • Häufig Erstsymptom (bis zu 30%)
  • Im Verlauf Auftreten bei ca. 80%
  • Subakut über Tage auftretend,  >95% einseitig
  • Verschwommensehen, Schleiersehen, "wie durch Milchglas", Gesichtsfelddefekte sehr variabel
  • Gel. Photopsien (bei Augenbewegungen verstärkt)
  • Beeinträchtigtes Farbensehen und Konturensehen
  • Gel. Schmerzen hinter/im Auge, verstärkt bei Augenbewegungen
  • Temporale Abblassung der Papille (erst im Krankheitsverlauf, nicht im Akutstadium!)
  • Begleitend retinale Phlebitis oder Uveitis (s.u.) möglich

Uveitis

  • Augenschmerzen, Fremdkörpergefühl, Lichtempfindlichkeit, Tränenfluß
  • Rötung des Auges (anteriore Uveitits)
  • Verschwommensehen (posteriore oder Panuveitis)

Okulomotorikstörungen

  • Internukleäre Ophthalmoplegie:
    • Adduktionsdefizit des adduzierenden, Nystagmus des abduzierenden Auges
    • Affektion des Fasciculus longitudinalis medialis (ipsilateral zu Adduktionsstörung)
    • Auftreten auch beidseitig
  • Okulomotorius-(meist inkomplett), Trochlearis-, Abduzensparesen (>90%) (nukleär/faszikulär), meist monokulär

Nystagmen

  • Cerebellär
  • Pontin
  • bei Internukleärer Opthalmoplegie (INO)
  • Oszillopsie:
    • Scheinbewegungen des Blickfeldes

Hirnstamm

  • Faziale Paresen (faszikulär/nukleär)
  • Sensibilitätsstörung Nervus trigeminus
  • Trigeminusneuralgie/Tic douloureux
  • Hypakusis
  • Hirnstammanfälle:
    • Umschriebene, meist schmerzhafte, unwillkürliche Verkrampfungen einer Extremität
    • Auch atonische Anfälle möglich
    • Auslösung häufig durch Bewegung, Hyperventilation
    • Dauer 15-60 Sekunden
    • Täglich wiederholtes Auftreten möglich (bis >100x)
    • Kene Bewußtseinsstörung
  • Siehe auch "Augen"

Sensibilitätsstörungen

  • Minderung von Ästhesie, Thermästhesie, Pallästhesie, Algesie, Lageempfinden möglich
  • Affektion von Thermästhesie und Algesie häufig kombiniert
  • Querschnittssymptomatik, abhängig von Lokalisation des Herdes ab zervikal nach distal möglich
  • Halbseitige Gefühlsstörung
  • Umschriebene sensible Defizite (Gesicht, Hand, Fuß)
  • Brennende, kribbelnde Parästhesien, typischerweise an Arm/Bein

Cerebelläre Störungen

  • Nystagmen
  • Ataxie der Extremitäten
  • Dysmetrie
  • Dysdiadochokinese
  • Rebound-Phänomen

Motorische Störungen

  • Umschriebene, Hemi-, Paraparesen
  • Spastik mit Tonuserhöhung, typischerweise Beine

Blasenfunktionsstörungen

  • Detrusor-Hyperreflexie
  • Blasen-Hyporeflexie
  • Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie

Störung der Sexualfunktion

  • Erektionsstörngen
  • Libidoverlust
  • Gestörte Lubrifikation

Fatigue

  • Verstärkte Müdigkeit, Abgeschlagenheit (sehr häufig)

Kognitive Defizite

Paroxysmale Störungen: (Sekunden bis Minuten anhaltend)

  • Neuralgien (z.B.Trigeminusneuralgie )
  • Paroxysmale Dysarthrie/Ataxie
  • Akute Tonusverlust (plötzliche Schwäche einer Extremität)
  • Paroxysmale sensible Störungen (Dysästhesien, Parästhesien)

Besonderheiten bei der klinischen Untersuchung

Lhermitte-Zeichen

Hirnnerven

  • Okulomotorik, Nystagmus
  • Funduskopie (temporale Papillenabblassung)
  • Sensible oder motorische Defizite

Sensibilitätsprüfung

  • Ästhese, Thermästhesie, Algesie, Pallästhesie, Graphästhesie, Lageempfinden, Diskrimnationsemfinden

Motorik

  • Paresen
  • Pyramidenbahnzeichen: Babinski, Bauchhautreflexe, Reflexsteigerungen, Kloni
  • Tonuserhöhung der Extremitäten, Spastik
  • Gangstörung

Koordinationsstörungen

  • Ataxie, Zeigeversuche, Diadochokinese, Gangprüfungen, Standprüfungen

Diagnostik

Kernspintomographie (MRT)

Gehirn

  • T1,T2, Flair, T1 mit Kontrastmittel
  • Lokalisation und Form der Herde:
    • periventrikulär, juxtakortikal, periaquaeduktal, infratentoriell, kortikal, faszikuläre Hirnstamm-Fasern, mediales longitudinale Faszikel (MLF)
    • asymmetrisch
    • Form typischerweise (rundlich)-oval
  • Black-Holes : Nachweis als Hypointensität in T1-Wichtung
  • KM-Aufnahme:
    • nodulär, ringförmig, randständig
  • Double Inversion Recovery-Sequenz (DIR):
    • Gut zur Darstellung kortikaler Läsionen
  • Zentrales Venenzeichen (CVS): Tyoisch für Multiple Sklerose

Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule

Bei Verdacht auf Retrobulbärneuritis

  • Coronare Schichtung, fettunterdrückt, dünne Schichtung mind. 5mm
  • Sehnervenschwellung
  • KM-Aufnahme des Nerven, zusätzlich meningeal
  • Hohe Sensitivität von 95-98% bei T2-Wichtung
  • Veränderungen meist im Verlauf von 5-25mm retroorbital

Evozierte Potentiale

  • Visuell evozierte Potentiale (VEP)
  • Akustisch evozierte Potentiale (AEP)
  • Medianus-SEP (Sensibel evozierte Potentiale)
  • Tibialis-SEP
  • Trigeminus-SEP
  • Magnetisch evozierte Potentiale (MEP)

Liquorpunktion

  • 5-50 Zellen/µl
  • Lympho- monozytäres Zellbild
  • Nachweis von Plasmazellen
  • Oligoklonale Banden
    • Intrathekale IgG-Synthese bei MS 70-95%
    • Bei CIS 40-60%
    • Sensitivität 95%
    • Evtl. wiederholte LP, Nachweis der OKB abhängig vom klinischen Verlauf (z.B. während Schub Wahrscheinlichkeit des Nachweises höher)
  • Reiber-Schema
  • Positive MRZ-Reaktion:
    • Antiköper-Nachweis gegen Masern-, Röteln-, Varizella zoster in ca. 90% positiv, DD NMO: Hier nur in ca. 5% positiv
    • Spezifität:97%

Labor

  • Laboruntersuchung zum differenzialdiagnostischen Ausschluß anderer Erkrankungen
  • Vitamin D Spiegel
    • Hochnormale Spiegel anstreben: Ca. 60-90ng/ml
    • Studien zeigen postive Wirkung auf Immunsystem und Krankheitsaktivität
    • Kontrolle Nierenwerte und Calcium während der Vitamin D Einnahme
  • Neurofilament light chain
    • Verwendung als prognostischer Faktor und Verlaufskontrolle
    • Korreliert mit axonalem Schaden
    • Unspezisch (Erhöhung auch bei anderen

Neurokognitive Testung


Feststellung des Schweregrades der Multiplen Sklerose mittels EDSS

Diagnostik

  • Kernspintomographie
    • Gehirn
      • Durchführung initial und nach Monat 6
      • Danach mindestens jährlich
    • Spinale Achse
      • Halswirbelsäule
      • Brustwirbelsäule
      • Durchführung zu Erkrankungsbeginn
      • Als Verlaufsparameter im GGS. zum Gehirn ungeeignet
    • Zum Nachweis akut entzündlicher Herde mit Kontrastmittel
  • Evozierte Potentiale
    • VEP
    • Tibialis-SEP, Medianus-SEP. Ulnaris-SEP
    • MEP
    • AEP
  • Labor
    • Zum Ausschluss anderer mögliche Ursachen entzündlicher ZNS Veränderungen
    • Neurofilament light Chain (NFL) im Serum
      • Parameter zur Prognoseabschätzung und Verlaufskontrolle
      • Wert korreliert mit axonaler Schädigung
      • Erhöhung auch bei anderen Erkrankngen wie ALS oder neurodegernativen Erkrankungen
      • Werte altersabhängig, zudem Korrelation mit BMI
    • Glial fibrillary acid protein (GFAP)
      • Parameter, der auf chronische Prozesse mit Beteiligung der Astrozyten hinweist
      • Zur Verlaufskontrolle insbesondere bei chronischen Verlaufsformen geeignet
  • Liqour
    • Nach neuen MCDonald-Kriterien nicht mehr zwingend erforerlich zur Diagnosestellung
    • Unterstützt Diagnosestellung
    • MMR-Reaktion:
      • Hohe Spezifität für MS
      • Geeignet zur Differenzialdiagnostik
  • OCT (Optische Kohärenztomographie)
    • Bestimmung der Nervenfaserdicke der Netzhaut
    • Prognostisch wegweisend
  • Erhebung des EDSS (Expanded Dysability Status Scale)

Therapie (Detaillierte Informationen nach Login)

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Akuttherapie im Schub

 IntravenöseTherapie

  • Methylprednisolon
    • Infusion über 3-5 Tage als Kurzinfusion über ca 1h
    • Morgendliche Gabe
    • Begleitend eventuell H2-Blocker oder Antazidum,
    • Vorher BB, CRP
    • Bei entsprechendem Verdacht zusätzlich Urinstatus, Röntgen-Thorax, bei erhöhtem Risiko für Thrombosen niedermolekulares Heparin s.c.)
  • Erneute Methylprednisolongabe
    • Höherdoisierte Kortisongabe im Vergleich zu erster Kortisonstoßtherapie über 3-5 Tage als Kurzinfusion über ca 1h
    • Bei unzureichendem Ansprechen auf ersten Therapiezyklus
    • Gabe innerhalb von ca. 4-8 Wochen nach Erstgabe
    • Alternativ Plasmapherese (siehe unten)
  • Plasmapherese/Immunadsorbtion

    • Bei foudroyanten Schüben
    • Bei unzureichendem Ansprechen auf Kortisongabe

Schubprophylaktische Therapie der MS

Therapie der milden/moderaten Verlaufsform

  • Dimethylfumarat
  • Glatirameracetat
  • Interferon beta-1a
  • PEG-Interferon beta-1a
  • Interferon beta-1b
  • Ozanimod
  • Ponesimod
  • Teriflunomid
  • Nur in seltenen Indikationen
    • Azathioprin
    • Immunglobuline

Therapie der (hoch-) aktiven Verlaufsform

  • Alemtuzumab
  • Cladribine
  • Natalizumab
  • Fingolimod
  • Ocrelizumab
  • Ofatumumab
  • Ublituximab

Indikation

  • Nachweis einer Krankheitsaktivität unter Behandlung mit einem Präparat zur so gennanten Basistherapie
    • Wiederholte klinische Schübe
    • Nachweis einer akuten entzüdlichen Aktivität im MRT oder signifikante Erhöhung der T2-Läsionen im Vgl. zur Voruntersuchung
  • Aktive Erkrankung mit hoher Schubrate und/oder deutliche Zunahme der zerebralen Herdlast im Vergleich zu einer Voruntersuchung
  • Die Indikation/Zulassung ist bei den verschiedenen Präparaten unterschiedlich (siehe jeweils im DocCheck-geschützten Bereich)

Klinisch isoliertes Syndrom (CIS )

Sekundär chronisch progressive Multiple Sklerose

Mit Krankheitsaktivität

  • Siponimod

Mit aufgesetzten Schüben

  • Interferon beta-1b subkutan
  • Interferon beta-1a subkutan

Symptomatische Therapie

Gangstörung

  • Fampridin (zur Verbesserung der Gehfähigkeit)

Blasenentleerungssstörungen (Medikamentös)

  • Detrusorhyperaktivität (Anticholinergika)
  • Infravesikale Obstruktion (Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie)
  • Detrusorhypoaktivität
  • Belastungsinkontinenz
  • Nykturie

Spastik

  • Tizanidin
  • Baclofen
  • Delta-9-Tetrahydrocannabinol, Cannabidiol

Fatigue

  • Amantadin
  • Modafinil

Paroxysmale Störungen: (Sekunden bis Minuten anhaltend)

  • Neuralgien (z.B.Trigeminusneuralgie)
  • Paroxysmale Dysarthrie/Ataxie
  • Akuter Tonusverlust (plötzliche Schwäche einer Extremität)
  • Paroxysmale sensible Störungen (Dysästhesien, Parästhesien)

Krankengymnastik

Logopädie

Ergotherapie

Verlauf

Verlaufsformen

  • Schubförmig remittierende Multiple Sklerose
  • Sekundär chronisch progrediente Multiple Sklerose
  • Sekundär chronisch progrediente Multiple Sklerose mit aufgesetzten Schüben
  • Primär chronisch progrediente Multiple Sklerose

Schub

  • Auftreten von neurologischen Ausfällen, die mindestens 24h anhalten und ohne Einfluß äußerer Faktoren wie Infektion, Temperaturschwankungen o.ä. auftreten

Chronische Progredienz

  • Zunehmende Verschlechterung neurologischer Defizite, die chronisch fortschreiten, ohne Nachweis akuter Verschlechterungen und ohne Remissionen

Befunde, die für eher leichten Verlauf sprechen

  • Vorwiegend sensible Symtome, gutes Ansprechen auf Cortisonstoßtherapie mit guter Rückbildung der Schübe, wenige T2-Herde im MRT zu Beginn der Erkrankung, Retrobulbäreuritis als Erstsymptom, junges Erkrankungsalter, monosymptomatische Klinik

Befunde, die für einen schlechteren Verlauf sprechen

  • Hohe Schubrate schon zu Beginn, zerebelläre und motorische Symptome, viele T2-Herde zu Beginn
  • Nach 15 Jahren bei ca. 60% Übergang vom schubförmigen Verlauf in sekundär progrediente Form

Differentialdiagnose

Weiterführende Literatur