Jean-Martin Charcot

(1825-1893)

Französischer Arzt, Mitbegründer der modernen Neurologie.

Jean-Martin Charcot wurde am 9. November 1825 in Paris als Sohn eines Wagenbauers geboren. Sein Sohn Jean Baptiste Charcot (1867-1936) war ebenfalls Arzt, erlangte jedoch Bekanntheit durch seine Tätigkeit als Ozeanograph und Erforscher des Südpols. Er starb auf See auf dem Schiff „Pourquoi-Pas".

Charcot absolvierte sein Medizinstudium an der berühmten Sorbonne Universität in Paris. Dort erlangte er 1853 seinen Abschluß, In seiner Promotion beschäftigte er sich mit dem Gelenkrheumatismus. Aufgrunddessen wurde später nach ihm das Charcot-Gelenk benannt. Von 1860-1893 unterrichtete er an der Universität Paris pathologische Anatomie. 1862 erhielt er einen Ruf an die Salpetrière die damals eine Klinik mit ca. 6000 Patienten war. Hier wurde er klinischer Chefarzt. In dieser Zeit widmete er sich der Erforschung und Beschreibung neurologischer Erkrankungen. Er beschrieb die Amyotrophe Lateralsklerose, und grenzte die Multiple Sklerose als eigenständiges Krankheitsbild ab. An der Salpetrière wird 1882 unter dem Einfluß des Präsidenten Gamettas der erste Lehrstuhl der Welt für Nervenkrankheiten eingerichtet. Schnell entwickelt die Klinik sich zur größten neurologischen Klinik Europas.

Charcot widmete sich ab Ende der siebten Dekade des neunzehtnen Jahrhunderts zunehmend der Hypnose und Erforschung und Therapie der Hysterie, deren Ursache er in einer vererbbaren Degeneration des Nervensytems sah. Insbesondere die Differentialdiagnostik zwischen organischen Erkrankungen und hysterischen Attacken und Lähmungen wurde unter Einsatz der Hypnose beforscht und in zahlreichen Vorlesungen vorgetragen. Charcot unterteilte die Hypnose in drei Stadien, Das Stadium der Lethargie, das Stadium der Katalepsie und den Zustand des Somnambulismus.

Die fast öffentlichen Fallvorstelllungen lassen heute Kritik an Charcots Arbeit laut werden. Bereits damals gab es einen Schulenstreit zwischen Charcots Lehre, aufgrund derer viele Patienten ungerechtfertigterweise die Diagnose Hysterie erhielten und den Widersprüchen seiner Kritiker. Auch posthum wird das Werk Charcots in dieser Phase seines Schaffens kritisch beleuchtet.
Zu einem „Eklat" kam es, als der schwedische Schriftsteller Axel Munthe, der einen Teil seines Studiums in Paris absolvierte, sich einer Patientin annahm, die ebenfalls unter einer Hysterie leiden sollte. Das von Munthe als nicht hysterisch eingeschätzte Mädchen sollte von Munthe aus der Klinik befreit werden, was jedoch vereitelt wurde. Der Schwede mußte daraufhin die Salpetrière verlassen. In seinem Werk San Michele beschreibt er sie Zustände an der Salpetrière zu Zeiten Charcots. In einigen französischen Ausgaben sind die entsprechenden Kapitel entfernt worden um nicht das Bild eines bedeutenden Mannes zu schädigen.

Durch seine zahlreichen Fallvorstellungen erwarb Charcot sich einen ausgezeichneten Ruf und unterrichtete so bedeutende Persönlichkeiten wie Georges Gilles de la Tourettte und Sigmund Freud, der 1885 sein Schüler war. Aber auch Schriftsteller wie Maupassant, Künstler und Journalisten wurden durch die klinischen Darbietungen angelockt. Seine Arbeiten und Fallvorstellungen der Hysterie beeinflußten maßgeblich seinen Schüler Freud und hierdurch die Lehre der Psychoanalyse aber auch die gesamte Psychiatrie.

Gegen Ende seines Lebens wird sich Charcot der Unsicherheit seiner Lehre über die Hysterie bewußt und stellt diese in Frage. Unglücklicherweise stirbt Charcot am 16. August 1893 in Morvan wenig später an einem Herzinfarkt, nachdem er bereits jahrelang an einer Koronarinsuffizienz gelitten hat.

Die Wichtigkeit seiner Person in der Erforschung des Nervensystems spiegeln sich heute in den zahlreichen neurologischen Krankheiten, die seinen Namen führen wider.

Begriffe und Erkrankungen die nach Charcot benannt sind

  • Charcot Krankheit / Morbus Charcot
    Amyotrophe Lateralsklerose, jedoch auch gelegentlich für die Multiple Sklerose verwandt.
  • Charcot-Marie-Tooth
    Hereditäre Motorisch Sensible Neuropathien (HMSN), die heute anhand der verschiedenen Verlaufsformen unterteilt werden.
  • Erb-Charcot Krankheit
    (Syphilitische oder spastische) Spinalparalyse, ursprünglich bei Syphilis Erkrankten beobachtet
  • Charcot-Trias
    Klinische Symptomkonstellation bei der Multiplen Sklerose gekennzeichnet durch 1) Intentionstremor 2) skandierende Sprache du 3) einen Nystagmus. In der Inneren Medizin bezeichnet als Kombination aus 1) Oberbauchschmerz, 2) Fieber und 3) Ikterus bei Cholangitis.
  • Charcot Schwindel
    Synkope oder Schwindel, die durch einen Hustenanfall ausgelöst wird und einhergeht mit einem laryngealen Spasmus
  • Charcot-Bouchard Aneurysma
    Kleine cerebrale Aneurysmen als mögliche Ursache intrazerebraler Blutungen
  • Charcot-Joffroy Syndrom
    Thrombophlebitis der meningoarachnoiden Venen mit Pachymeningitis, auch als Spillers Syndrom bekannt
  • Charcot Punkte/Zonen
    Punkte, an denen druch Druck eine hysterische Krise ausgelöst werden kann.
  • Charcot Leyden Kristalle
    farblose, spitze oktraedische Kristalle im Sputum von Asthma Erkrankten
  • Charcot's syndrome
    Claudicatio intermittens
  • Charcot Gelenk
    neurogene Arthropathie

 

Dr. P. Thilmann