Mozart und das Tourette-Syndrom

Mozart und das Tourette Syndrom -  Teil II

In einem anderen Brief an das Bäsle verwendet Mozart ein uns völlig unsinnig anmutendes Reim-Echo nach dem Motto „Reim Dich oder ich fress Dich"

"Ich habe dero mir so wertes Schreiben richtig erhalten - stalten
und daraus ersehen - drehen, 
daß der Herr Vetter -Retter
die Frau Baß Haß
- und Sie - wie recht wohlauf sind - Kind.
Wir sind auch Gott Lob und Dank recht gesund - und
Ich habe heute den Brief - schief - 
von meinem Papa - haha - 
auch richtig in meine Klauen bekommen - strommen - . 
Ich hoffe Sie werden auch meinen Brief - Trief
welchen ich Ihnen aus Mannheim geschrieben, erhalten haben - Schaben -
Mir ist sehr leid, daß der Herr Prälat - Salat - schon wieder vom Schlag getroffen worden ist - Fist - doch hoffe ich mit der Hülfe Gottes wird es von keinen Folgen sein - Schwein -"

Am Ende dieses Briefes kommt es dann nochmals deftig:

"Jetzt wünsche ich eine gute Nacht, scheißen Sie ins Bett daß es kracht, schlafen's gesund, recken's den Arsch zum Mund, leben Sie recht wohl, ich küsse Sie zehntausendmal und bin wie alle Zeit der alte junge Sauschwanz Wolfgang Amadé Rosenkranz".

Ein weiteres bizzares Wortspiel gibt eine kurze Notiz aus Mozarts Tagebuch wieder:

"Um drey sind wir alle sechs spazieren gegangen, gegängen, gegieren, gegoren, gegungen, es dann tag ein schöner war".

Bemerkenswert ist auch folgende Passage aus einem Brief Mozarts an seinen Vater aus dem Jahre 1777:

"Ich kann gescheut nichts heut schreiben denn ich heiß völlig aus dem Biel. Der Papa üble es mir nicht müssen Papen, ich so halt einmal heut bin, ich helf mir nicht können, wohlen Sie leb, ich gute eine wünsche Nacht, sunden sei geschlaf, werden's Nächte ich schon Schreiber geschieden".

Mit diesen Zeilen scheint Mozart selbst signalisieren zu wollen, daß er unter einem Zwang steht, dem er sich nicht entziehen kann und der ihn zu solch grotesken Wortkombinationen und -neuschöpfungen treibt.

Eine weitere Tagebuchnotiz findet sich aus dem Jahre 1780:

"Am Nachmittag die Eberlin und Schachtner bey uns. Altmann auch gekommen. Vormittag geregnet. Nachmittag schön, Wetter geworden, oh Wetter, oh worden, oh schön, oh Nachmittag, oh Regen, oh Vormittag".

Seine scheinbar von einem innerlichen Zwang getriebene Neigung zu Wortwiederholungen spricht wiederum aus einem Brief an das Bäsle aus dem Jahre 1778:

"So schreiben Sie mir bald, damit ich den Brief erhalt, sonst wenn ich etwa schon bin weck, bekomme ich dann einen Brief einen Dreck: Dreck, oh Dreck - oh süßes Wort - Dreck, schmeck ! Auch schön - Dreck, schmeck, leck - oh charmante ! - Dreck, leck das reuet mich - Dreck, schmeck und leck - schmeck Dreck und weck Dreck".

 

Beispielhaft für Mozarts närrische Virtuosität im Spiel mit Zahlen ist ein Brief, der wie folgt schließt:

"Adieu. Von meinem Vater Papa und meiner Schwester Zizibe alles erdenkliche -an dero Eltern und uns Dreien, zwei Buben und ein Madel, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 Empfehlungen und an alle guten Freunde von mir allein 6, 2, 4, von meinem Vater 1, 0, 0 und Schwester 1, 5, 0, zusammen 1,7, 7, 4, und summa summarum 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 8, 7, 6, 5, 6, 0, 9, 5 Komplimente".

Gewiss kann man dieses Zahlenspiel mit dem Begriff der närrischen Virtuosität umschreiben, doch kommt als Antrieb dieses Geschicks auch ein Zählzwang in Betracht.

Im Hinblick auf diese Beispiele für Coprolalie, Echolalie, Reimzwänge, Spiel mit bizarren Worten und Zählzwang stellt sich die Frage, ob sich in der Biographie Mozarts auch Anhaltspunkte für motorische Tics finden, die für das Tourette-Syndrom so typisch sind. Beschreibungen von Mozarts Mimik, Gestik und seinem Verhalten sind leider rar. Nissen, der spätere zweite Ehemann von Mozarts Ehefrau Constanze, der Mozart selbst nicht persönlich kannte, berichtete jedoch unter Rückgriff auf Äusserungen seiner Frau: "Sein ewig schaffender Geist äussert sich in einer gewissen Nervosität und anhaltenden Beweglichkeit des Körpers. Seine Hände spielen nervös am Tisch, als habe er ein Klavier vor sich und seine Fersen schlagen ständig aneinander".

Caroline Pichler, zu Mozarts Zeiten eine bekannte Wiener Schriftstellerin, schrieb: „Als ich einst am Flügel saß und das Non miu andrai aus Figaro spielte, trat Mozart, der sich gerade bei uns befand, hinter mich und ich mußte es ihm wohl Recht machen, denn er brummte die Melodie mit und schlug den Takt auf meine Schultern. Plötzlich aber rückte er sich einen Stuhl heran, setzte sich, hieß mich im Basse fortspielen und begann so wunderschön aus dem Stehgreife zu variieren, daß Alles mit angehaltenem Atem den Tönen des deutschen Orpheus lauschte. Auf einmal aber ward ihm das Ding zuwider, er fuhr auf und begann in seiner närrischen Laune, wie er es öfters machte, über Tisch und Sessel zu springen, wie eine Katze zu miauen und wie ein ausgelassener Junge Purzelbäume zu schlagen...." Bemerkenswert neben dem schon für sich genommen recht ungewöhnlichen Verhalten Mozarts ist Pichlers Wortwahl, denn sie spricht von „seiner närrischen Laune" und deutet an, daß "er dies öfters machte", so dass man wohl davon ausgehen kann, daß solche Ausbrüche Mozarts bekannt waren und "närrischen Laune" zugeschrieben wurden. Trotz aller Zuneigung und Verehrung die Caroline Pichler Mozart entgegenbrachte, blieb ihr dieses Verhalten eigenen Äußerungen zufolge ein Leben lang "eine Quelle leicht mißbilligenden Erstaunens".

Immer wieder hat man sich bemüht, Erklärungen für Mozarts auffälliges Verhalten zu finden. So kam der Mozart-Biograph Hildesheimer zu dem Schluss, es handele sich dabei „um einen durch geistige Überleistung bedingten Kontaktverlust, der sich anderweitig kompensiert und zwar für die Mitwelt an unerwarteten und unerwünschten Stellen". Der Schriftsteller Stefan Zweig hingegen, der eine Reihe von Mozart-Briefen besaß, deutete die Mozart'sche Neigung zur Coprolalie in seiner Korrespondenz mit Siegmund Freud als "merkwürdige Variante der Erotik eines bedeutenden Menschen" und ließ Freud wissen, daß er den Inhalt der Briefe nur einem ganz engen Kreis vermittele, weil "eine Veranlagung dieser Art nicht Jeden von uns zu interessieren hat". Mag auch der Gebrauch von Fäkalworten zu jener Zeit nicht unbedingt ungewöhnlich gewesen sein, was häufig hervorgehoben wird, so sich doch die Frage, warum Constanze, Mozarts Frau, und deren zweiter Mann Nissen, so viele Passagen in Mozarts Briefen später unleserlich machten. Wollten sie lediglich das musikalische Genie Mozart etwa mehr aus den Niederungen der übrigen Menschheit hervorheben ?

Bis heute bleiben das traurige soziale Schicksal Mozarts, seine gesellschaftliche Isolation zum Lebensende und sein einsames Sterben ein Geheimnis, das Raum zu vielerlei Spekulationen gibt, zu denen auch die medizisch ambitionierte These des Dänen Rasmus Fog zählt: "Wenn jemand ein so bizzares Benehmen aufweist, das der Zuschauer als Ungezogenheit, Primitivität, als vulgäres Verhalten ansehen muß und wenn man nicht weiß, daß es sich dabei um eine Krankheit handelt, kann dies vielleicht erklären, warum Mozart nie die Position und die Stellung erhalten hat, die er verdient hätte ?!"

Mehr als zweihundert Jahre nach Mozarts Tod wird es wohl kaum mehr eine sichere Antwort auf diese Frage geben können, so dass einem jeden selbst die Entscheidung überlassen bleibt, ob er der These von Rasmus Fog zustimmt oder nicht.

Dr. Joseph Thilmann (Mannheim, 1989)

Quellen:

Leopold Schmidt - W. A. Mozart
Wolfgang Hildesheimer - Mozart
Paul Nettl - W. A. Mozart
Alexander Witeschnik -  Ihr Edler von Sauschwanz

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