News aus dem Fachbereich Neurologie

Deutscher Schmerzkongress 2023 in Mannheim – „Im Team Grenzen überwinden“

Im Team Grenzen überwinden“ – diesem Ziel haben sich die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft  e.V. (DMKG) als Veranstalter des diesjährigen Deutschen Schmerzkongresses verschrieben, der vom 18. bis  21. Oktober 2023 hybrid in Mannheim stattfand und die interdisziplinäre, multiprofessionelle und intersektorale Ausgestaltung der Schmerztherapie in den Vordergrund stellte. Zahlreiche Teilnehmende kamen im Rahmen dieser kompetent organisierten und mit ausgezeichneten Referenten besetzten Veranstaltung zu wegweisenden Vorträgen, spannenden Diskussionen, aktuellen Symposien und Workshops im Congress Center Rosengarten zusammen und profitierten vom fachlichen Austausch.
Dass zum „Team“ im Hinblick auf die Schmerztherapie nicht nur die Kräfte der verschiedenen ärztlichen Fachrichtungen, der Psychologie, Pflege sowie Physio- und Ergotherapie zählen, sondern auch Patienten, Angehörige und die Gesellschaft miteinzubeziehen sind, verdeutlichten die  Kongresspräsidenten Prof. Dr. rer. cur. Thomas Fischer, Professor für Pflegewissenschaften, Dresden, und Privatdozent Dr. med. Lars Neeb, Facharzt für Neurologie, Berlin, bereits in ihren Eingangsworten. So appellierten sie an die Zuhörerschaft, die Schmerztherapie noch näher an die Patienten heranzubringen und neue Ansätze wie beispielsweise digitale Anwendungen ergänzend in die Behandlungspfade einzubinden.
Schmerz ist mehr als der einzelne Schmerzpatient. Der Schmerz hat auch eine soziale Komponente, betrifft Familie und Gesellschaft“, betonte PD Dr. Neeb im Rahmen der Kongress-Pressekonferenz.

Wir waren vor Ort und geben Ihnen einen Überblick über die Schwerpunktthemen des Kongresses:

 © Christine Thilmann I Neurologienetz.de | 22.10.2023

 

Krankenhausreform – Dringender Appell zur Aufnahme der Schmerztherapie in die Liste der Leistungsgruppen!

Einen dringenden Aufruf, die Schmerztherapie im Rahmen der anstehenden Krankenhausreform zu berücksichtigen, richtete Prof. Dr. Frank Petzke, Göttingen, im Rahmen der Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses 2023 an Bund und Länder. Diese haben sich am 10. Juli 2023 auf die Eckpunkte für die Krankenhausreform geeinigt, die darauf abzielt, das System der Fallpauschalen zu beenden und u.a. Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität sowie Entbürokratisierung zu gewährleisten. Der künftigen Krankenhausplanung, Krankenhausversorgung und Finanzierung sollen 65 Leistungsgruppen zugrunde liegen.

Obwohl das Inkrafttreten eines entsprechendes Gesetz bereits zum 1. Januar 2024 avisiert ist, scheint der Gesetzgeber die Schmerztherapie im Rahmen dieser Reform bislang nicht berücksichtigt zu haben: Weder im vorbezeichneten Eckpunktepapier noch in ersten Gesetzesentwürfen hat die Schmerztherapie eine eigene Leistungsgruppe erhalten oder wurde einer solchen zumindest zugeordnet, obwohl andere interdisziplinär arbeitende Leistungsbereiche wie Palliativmedizin und Geriatrie entsprechend eingebunden wurden. Als designierter Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. verwies Prof. Petzke auf die in den letzten 2-3 Jahren in NRW geleisteten Vorarbeiten, die als „Blaupause“ für die Krankenhausreform gedient hätten. Schon im Rahmen dieses Prozesses habe die Deutsche Schmerzgesellschaft en détail dargelegt, welche Chancen zur Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge im Bereich akuter und insbesondere chronischer Schmerzen bestünden, wenn die Schmerzmedizin in einer eigenen Leistungsgruppe dargestellt würde. Damit einhergehend seien Verbesserungen auch für den ambulanten Sektor zu erwarten; es gelte, die neue Krankenhauspolitik mit angemessenen (teil-)stationären schmerzmedizinischen Angeboten und einer weiteren interdisziplinären Ausgestaltung der ambulanten Versorgung zu verschränken.

„Gerade im Bereich Schmerz ist klar: Eine Entwicklung von neu aufgetretenen oder wiederkehrenden Schmerzen zu chronischen und intensiv behandlungsbedürftigen Schmerzen ist oftmals vermeidbar“, führte Prof. Petzke aus und verdeutlichte damit das Potenzial und die Notwendigkeit frühzeitig eingreifender schmerztherapeutischer Maßnahmen sowie die daraus resultierende Dringlichkeit der Berücksichtigung im Rahmen der Krankenhausreform.  

 

Potenzial digitaler Anwendungen (DiGAs) zur Unterstützung der Schmerztherapie

Wie digitale und innovative Anwendungen in der Schmerztherapie unterstützend eingesetzt werden können und sich mit ihrer Hilfe Versorgungslücken schließen lassen, erläuterte Prof. Dr. Axel Schäfer, Hildesheim, anlässlich der Pressekonferenz des Deutschen Schmerzkongresses.
Vielversprechende Ergebnisse liefere der zunehmend an Bedeutung gewinnende Einsatz von VR-Brillen in der Therapie chronischer Schmerzen: Dem Patienten werde es hierdurch möglich, sich nicht nur vom Schmerz abzulenken, sondern auch in eine faszinierende virtuelle Welt einzutauchen und sich wieder aktiv wahrzunehmen; darüber hinaus könne die Illusion eines virtuellen Körpers die Körper- und Schmerzwahrnehmung in der realen Welt als Resultat der gegenseitigen Beeinflussung von Körper, Psyche und Umwelt (Embodiment) positiv beeinflussen.

Auch spezielle Smartphone-Apps eignen sich aktuellen Erkenntnissen zufolge zur Unterstützung einer ambulanten Therapie und können schmerzreduzierend wirken. „Meist beinhalten sie Elemente wie Stressreduktion, Entspannung, Schlafhygiene, Ernährung oder ein Schmerztagebuch“, fasste Prof. Schäfer zusammen und verwies insbesondere auf die elf vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für die Indikation „Schmerz“ anerkannten und erstattungsfähigen DiGAs.

Die Telemedizin ermögliche es schließlich, die Versorgung von Schmerzpatienten – trotz räumlicher Trennung – durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnik zu verbessern.

„DiGAs müssen in Behandlungspfade eingebunden werden, ersetzen aber nicht den Arzt-Patienten-Kontakt“, resümmierte PD Dr. Neeb und plädierte dafür, das große Potenzial der digitalen Anwendungen in den nächsten Jahren auszuschöpfen und sie insbesondere auf Menschen mit geringerer Affinität zu digitalen Medien anzupassen, um Hürden bei der Anwendung abzubauen. Dass sich mithilfe der DiGAs auch wertvolle Erkenntnisse für die Forschung gewinnen lassen, zeige die Migräne- und Clusterkopfschmerz-App der DMKG: Die anonymisierte Verknüpfung der App-Daten mit dem Kopfschmerzregister ermögliche Rückschlüsse auf Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen von Migräne-Medikamenten; die anhand dieser Daten gewonnen Erkenntnisse kämen letztlich wieder den Betroffenen zugute.

 

Soziale Aspekte von Schmerz und Einfluss emotionaler Unterstützung in der Schmerztherapie

Welchen Einfluss das soziale Umfeld auf das Schmerzerleben von Patienten hat, referierte Dr. Judith Kappesser, Gießen, im Rahmen der Pressekonferenz des Deutschen Schmerzkongresses, und präsentierte zu diesem Kongress-Schwerpunktthema interessante Forschungsergebnisse:

Empathische Zuwendung, das Halten der Hand, die Anwesenheit einer vertrauten Person und selbst das bloße Foto einer nahestehenden Menschen, - all dies eigne sich, um das Schmerzerleben von Patienten zu lindern. „Das Vorhandensein unterstützender Beziehungen kann Schmerzen subjektiv weniger intensiv erscheinen lassen, da emotionale Unterstützung Stress und Angst reduzieren kann. Umgekehrt kann soziale Isolation Schmerzen verstärken, die Einsamkeit die psychische Belastung erhöhen - wie wir während der Corona-Pandemie vielfach erlebt haben“, erklärte Kongresspräsident Prof. Fischer. Übermäßige Besorgtheit des sozialen Umfelds wirke sich hingegen nachweisbar negativ auf das Schmerzerleben und die subjektive Beeinträchtigung durch Schmerzen aus.

Wie schwierig sich die Forschung in diesem Bereich gestaltet, veranschaulichte Dr. Kappesser mit den Worten: „Es gibt nun einmal kein Fieberthermometer zur Schmerzerfassung!“

Der soziale Kontext spiele nicht nur eine Rolle dabei, ob und wie Schmerz erlebt werde, sondern auch, ob und in welchem Ausmaß er gezeigt werde: Gehe der gefoulte Fußballspieler mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden, um nach dem Urteil des Schiedsrichters Sekunden später wieder durchzustarten, verschweige mancher Krebspatienten seine Schmerzen gegenüber Angehörigen, um diese nicht zu beunruhigen.

Der heilende Einfluss sozialer Interaktion ist im Übrigen auch in der Tierwelt zu beobachten: So reagieren Bienen auf akut im Bienenstock auftretende Infektionen mit kollektivem Flügelschlag und erzeugen auf diese Weise eine erhöhte Temperatur bzw. ein „soziales Fieber“.

Beim Menschen gingen in einem Experiment künstlich erzeugte und mit Placebo-Creme behandelte allergische Hautreaktionen am stärksten zurück, wenn sich das ärztliche Personal kompetent und empathisch verhielt, d.h. den Patienten mit seinem Namen ansprach, sich neben ihn setzte, Augenkontakt hielt und lächelte.

„Der soziale Kontext ist ein entscheidender Faktor im gesamten Heilungsprozess“, fasste Dr. Kappesser abschließend zusammen und riet Angehörigen von Schmerzpatienten, die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen zu berücksichtigen. Um die Balance zwischen Empathie und übermäßiger Besorgnis zu halten, könnten konkrete Fragen helfen, wie z.B. ob und inwiefern sich der Betroffene Unterstützung wünsche, ob er ggf. an Pausen erinnert oder überhaupt auf seine Schmerzen angesprochen werden wolle.

 

Bedeutung geschlechtsspezifischer Klischees sowie geschlechtsspezifische Unterschiede bei Schmerzerkrankungen

Spannende Einblicke in das noch recht neue Forschungsgebiet der Gender-Medizin gaben Dr. med. Bianca Raffaelli, Berlin, und Dr. med. Daniela Rosenberger, Münster, im Rahmen der Pressekonferenz des Deutschen Schmerzkongresses:

So zeigten sich vor allem bei Kopfschmerzerkrankungen geschlechtsspezifische Unterschiede: Während der Clusterkopfschmerz häufiger bei Männern auftrete, betreffe Migräne Frauen nicht nur schwerer, sondern auch doppelt so häufig wie Männer. Zurückgeführt wird das auf eine vermehrte Ausschüttung von CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide), einem entzündlichen Botenstoff, der bei Migräne eine entscheidende Rolle spielt und möglicherweise durch Sexualhormone und insbesondere einen Östrogenabfall verursacht wird. „Die Östrogenentzugsthese ist die gängigste Theorie, ihre wissenschaftliche Evidenz ist aber noch kritisch“, fasste Dr. Raffaelli zusammen und richtet das Augenmerk darüber hinaus auf Begleiterkrankungen der Migräne wie z.B. die Endometriose, an der Frauen mit Migräne im Vergleich doppelt so häufig erkrankten und für die - ebenso wie bei der Migräne - eine vermehrte CGRP-Ausschüttung signifikant sei. Gleichwohl sei es nicht nur falsch, sondern auch stigmatisierend für beide Geschlechter, Migräne als ausschließliche „Frauenerkrankung“ zu qualifizieren, so Raffaelli.

Dass Frauen aber auch insgesamt häufiger als Männer von Schmerzen/Schmerzsyndromen betroffen seien und ein größeres Risiko für chronische Schmerzen haben, lassen experimentelle Untersuchungen vermuten, die darauf hindeuten, dass Frauen schmerzempfindlicher sind und eine niedrigere Schmerzschwelle haben. Ebenso scheinen Entzündungsreaktionen und die Immunantwort bei Frauen stärker oder anders ausgeprägt zu sein als bei Männern. Vor diesem Hintergrund sensibilisierte Dr. Rosenberger für die soziokulturellen Einflüsse und warnte eindringlich vor voreiligen Schlüssen: Nicht auszuschließen sei, dass Schmerzschilderungen weiblicher Patienten - z.B. im Zusammenhang mit einer Endometriose – von Untersuchenden emotionaler wahrgenommen und daher leichtfertig psychologisiert würden, wohingegen Beschwerden von Männern tendenziell eher körperliche Ursachen zugeschrieben würden.

Hinzukomme, dass Medikamentenstudien in der Vergangenheit primär an Männern durchgeführt worden seien. Inzwischen stehe aber fest, dass sich deren Ergebnisse und Dosierungen nicht generell auf Frauen übertragen lassen, weil viele Medikamente bei Frauen anders wirken bzw. sich anders verteilen/anders abgebaut werden. „Das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede sollte geschärft werden“, appellierte Dr. Rosenberger abschließend an die Zuhörerschaft und brachte ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die insoweit noch am Anfang stehende Forschung weiter voranschreitet und Patienten beider Geschlechter gleichermaßen einbezieht, um Therapien effektiver zu machen.

Deutscher Schmerzkongress 2023 in Mannheim – „Im Team Grenzen überwinden“

Im Team Grenzen überwinden“ – diesem Ziel haben sich die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft  e.V. (DMKG) als Veranstalter des diesjährigen Deutschen Schmerzkongresses verschrieben, der vom 18. bis  21. Oktober 2023 hybrid in Mannheim stattfand und die interdisziplinäre, multiprofessionelle und intersektorale Ausgestaltung der Schmerztherapie in den Vordergrund stellte. Zahlreiche Teilnehmende kamen im Rahmen dieser kompetent organisierten und mit ausgezeichneten Referenten besetzten Veranstaltung zu wegweisenden Vorträgen, spannenden Diskussionen, aktuellen Symposien und Workshops im Congress Center Rosengarten zusammen und profitierten vom fachlichen Austausch.
Dass zum „Team“ im Hinblick auf die Schmerztherapie nicht nur die Kräfte der verschiedenen ärztlichen Fachrichtungen, der Psychologie, Pflege sowie Physio- und Ergotherapie zählen, sondern auch Patienten, Angehörige und die Gesellschaft miteinzubeziehen sind, verdeutlichten die  Kongresspräsidenten Prof. Dr. rer. cur. Thomas Fischer, Professor für Pflegewissenschaften, Dresden, und Privatdozent Dr. med. Lars Neeb, Facharzt für Neurologie, Berlin, bereits in ihren Eingangsworten. So appellierten sie an die Zuhörerschaft, die Schmerztherapie noch näher an die Patienten heranzubringen und neue Ansätze wie beispielsweise digitale Anwendungen ergänzend in die Behandlungspfade einzubinden.
Schmerz ist mehr als der einzelne Schmerzpatient. Der Schmerz hat auch eine soziale Komponente, betrifft Familie und Gesellschaft“, betonte PD Dr. Neeb im Rahmen der Kongress-Pressekonferenz.

Wir waren vor Ort und geben Ihnen einen Überblick über die Schwerpunktthemen des Kongresses:

 © Christine Thilmann I Neurologienetz.de | 22.10.2023

 

Krankenhausreform – Dringender Appell zur Aufnahme der Schmerztherapie in die Liste der Leistungsgruppen!

Einen dringenden Aufruf, die Schmerztherapie im Rahmen der anstehenden Krankenhausreform zu berücksichtigen, richtete Prof. Dr. Frank Petzke, Göttingen, im Rahmen der Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses 2023 an Bund und Länder. Diese haben sich am 10. Juli 2023 auf die Eckpunkte für die Krankenhausreform geeinigt, die darauf abzielt, das System der Fallpauschalen zu beenden und u.a. Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität sowie Entbürokratisierung zu gewährleisten. Der künftigen Krankenhausplanung, Krankenhausversorgung und Finanzierung sollen 65 Leistungsgruppen zugrunde liegen.

Obwohl das Inkrafttreten eines entsprechendes Gesetz bereits zum 1. Januar 2024 avisiert ist, scheint der Gesetzgeber die Schmerztherapie im Rahmen dieser Reform bislang nicht berücksichtigt zu haben: Weder im vorbezeichneten Eckpunktepapier noch in ersten Gesetzesentwürfen hat die Schmerztherapie eine eigene Leistungsgruppe erhalten oder wurde einer solchen zumindest zugeordnet, obwohl andere interdisziplinär arbeitende Leistungsbereiche wie Palliativmedizin und Geriatrie entsprechend eingebunden wurden. Als designierter Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. verwies Prof. Petzke auf die in den letzten 2-3 Jahren in NRW geleisteten Vorarbeiten, die als „Blaupause“ für die Krankenhausreform gedient hätten. Schon im Rahmen dieses Prozesses habe die Deutsche Schmerzgesellschaft en détail dargelegt, welche Chancen zur Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge im Bereich akuter und insbesondere chronischer Schmerzen bestünden, wenn die Schmerzmedizin in einer eigenen Leistungsgruppe dargestellt würde. Damit einhergehend seien Verbesserungen auch für den ambulanten Sektor zu erwarten; es gelte, die neue Krankenhauspolitik mit angemessenen (teil-)stationären schmerzmedizinischen Angeboten und einer weiteren interdisziplinären Ausgestaltung der ambulanten Versorgung zu verschränken.

„Gerade im Bereich Schmerz ist klar: Eine Entwicklung von neu aufgetretenen oder wiederkehrenden Schmerzen zu chronischen und intensiv behandlungsbedürftigen Schmerzen ist oftmals vermeidbar“, führte Prof. Petzke aus und verdeutlichte damit das Potenzial und die Notwendigkeit frühzeitig eingreifender schmerztherapeutischer Maßnahmen sowie die daraus resultierende Dringlichkeit der Berücksichtigung im Rahmen der Krankenhausreform.  

 

Potenzial digitaler Anwendungen (DiGAs) zur Unterstützung der Schmerztherapie

Wie digitale und innovative Anwendungen in der Schmerztherapie unterstützend eingesetzt werden können und sich mit ihrer Hilfe Versorgungslücken schließen lassen, erläuterte Prof. Dr. Axel Schäfer, Hildesheim, anlässlich der Pressekonferenz des Deutschen Schmerzkongresses.
Vielversprechende Ergebnisse liefere der zunehmend an Bedeutung gewinnende Einsatz von VR-Brillen in der Therapie chronischer Schmerzen: Dem Patienten werde es hierdurch möglich, sich nicht nur vom Schmerz abzulenken, sondern auch in eine faszinierende virtuelle Welt einzutauchen und sich wieder aktiv wahrzunehmen; darüber hinaus könne die Illusion eines virtuellen Körpers die Körper- und Schmerzwahrnehmung in der realen Welt als Resultat der gegenseitigen Beeinflussung von Körper, Psyche und Umwelt (Embodiment) positiv beeinflussen.

Auch spezielle Smartphone-Apps eignen sich aktuellen Erkenntnissen zufolge zur Unterstützung einer ambulanten Therapie und können schmerzreduzierend wirken. „Meist beinhalten sie Elemente wie Stressreduktion, Entspannung, Schlafhygiene, Ernährung oder ein Schmerztagebuch“, fasste Prof. Schäfer zusammen und verwies insbesondere auf die elf vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für die Indikation „Schmerz“ anerkannten und erstattungsfähigen DiGAs.

Die Telemedizin ermögliche es schließlich, die Versorgung von Schmerzpatienten – trotz räumlicher Trennung – durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnik zu verbessern.

„DiGAs müssen in Behandlungspfade eingebunden werden, ersetzen aber nicht den Arzt-Patienten-Kontakt“, resümmierte PD Dr. Neeb und plädierte dafür, das große Potenzial der digitalen Anwendungen in den nächsten Jahren auszuschöpfen und sie insbesondere auf Menschen mit geringerer Affinität zu digitalen Medien anzupassen, um Hürden bei der Anwendung abzubauen. Dass sich mithilfe der DiGAs auch wertvolle Erkenntnisse für die Forschung gewinnen lassen, zeige die Migräne- und Clusterkopfschmerz-App der DMKG: Die anonymisierte Verknüpfung der App-Daten mit dem Kopfschmerzregister ermögliche Rückschlüsse auf Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen von Migräne-Medikamenten; die anhand dieser Daten gewonnen Erkenntnisse kämen letztlich wieder den Betroffenen zugute.

 

Soziale Aspekte von Schmerz und Einfluss emotionaler Unterstützung in der Schmerztherapie

Welchen Einfluss das soziale Umfeld auf das Schmerzerleben von Patienten hat, referierte Dr. Judith Kappesser, Gießen, im Rahmen der Pressekonferenz des Deutschen Schmerzkongresses, und präsentierte zu diesem Kongress-Schwerpunktthema interessante Forschungsergebnisse:

Empathische Zuwendung, das Halten der Hand, die Anwesenheit einer vertrauten Person und selbst das bloße Foto einer nahestehenden Menschen, - all dies eigne sich, um das Schmerzerleben von Patienten zu lindern. „Das Vorhandensein unterstützender Beziehungen kann Schmerzen subjektiv weniger intensiv erscheinen lassen, da emotionale Unterstützung Stress und Angst reduzieren kann. Umgekehrt kann soziale Isolation Schmerzen verstärken, die Einsamkeit die psychische Belastung erhöhen - wie wir während der Corona-Pandemie vielfach erlebt haben“, erklärte Kongresspräsident Prof. Fischer. Übermäßige Besorgtheit des sozialen Umfelds wirke sich hingegen nachweisbar negativ auf das Schmerzerleben und die subjektive Beeinträchtigung durch Schmerzen aus.

Wie schwierig sich die Forschung in diesem Bereich gestaltet, veranschaulichte Dr. Kappesser mit den Worten: „Es gibt nun einmal kein Fieberthermometer zur Schmerzerfassung!“

Der soziale Kontext spiele nicht nur eine Rolle dabei, ob und wie Schmerz erlebt werde, sondern auch, ob und in welchem Ausmaß er gezeigt werde: Gehe der gefoulte Fußballspieler mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden, um nach dem Urteil des Schiedsrichters Sekunden später wieder durchzustarten, verschweige mancher Krebspatienten seine Schmerzen gegenüber Angehörigen, um diese nicht zu beunruhigen.

Der heilende Einfluss sozialer Interaktion ist im Übrigen auch in der Tierwelt zu beobachten: So reagieren Bienen auf akut im Bienenstock auftretende Infektionen mit kollektivem Flügelschlag und erzeugen auf diese Weise eine erhöhte Temperatur bzw. ein „soziales Fieber“.

Beim Menschen gingen in einem Experiment künstlich erzeugte und mit Placebo-Creme behandelte allergische Hautreaktionen am stärksten zurück, wenn sich das ärztliche Personal kompetent und empathisch verhielt, d.h. den Patienten mit seinem Namen ansprach, sich neben ihn setzte, Augenkontakt hielt und lächelte.

„Der soziale Kontext ist ein entscheidender Faktor im gesamten Heilungsprozess“, fasste Dr. Kappesser abschließend zusammen und riet Angehörigen von Schmerzpatienten, die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen zu berücksichtigen. Um die Balance zwischen Empathie und übermäßiger Besorgnis zu halten, könnten konkrete Fragen helfen, wie z.B. ob und inwiefern sich der Betroffene Unterstützung wünsche, ob er ggf. an Pausen erinnert oder überhaupt auf seine Schmerzen angesprochen werden wolle.

 

Bedeutung geschlechtsspezifischer Klischees sowie geschlechtsspezifische Unterschiede bei Schmerzerkrankungen

Spannende Einblicke in das noch recht neue Forschungsgebiet der Gender-Medizin gaben Dr. med. Bianca Raffaelli, Berlin, und Dr. med. Daniela Rosenberger, Münster, im Rahmen der Pressekonferenz des Deutschen Schmerzkongresses:

So zeigten sich vor allem bei Kopfschmerzerkrankungen geschlechtsspezifische Unterschiede: Während der Clusterkopfschmerz häufiger bei Männern auftrete, betreffe Migräne Frauen nicht nur schwerer, sondern auch doppelt so häufig wie Männer. Zurückgeführt wird das auf eine vermehrte Ausschüttung von CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide), einem entzündlichen Botenstoff, der bei Migräne eine entscheidende Rolle spielt und möglicherweise durch Sexualhormone und insbesondere einen Östrogenabfall verursacht wird. „Die Östrogenentzugsthese ist die gängigste Theorie, ihre wissenschaftliche Evidenz ist aber noch kritisch“, fasste Dr. Raffaelli zusammen und richtet das Augenmerk darüber hinaus auf Begleiterkrankungen der Migräne wie z.B. die Endometriose, an der Frauen mit Migräne im Vergleich doppelt so häufig erkrankten und für die - ebenso wie bei der Migräne - eine vermehrte CGRP-Ausschüttung signifikant sei. Gleichwohl sei es nicht nur falsch, sondern auch stigmatisierend für beide Geschlechter, Migräne als ausschließliche „Frauenerkrankung“ zu qualifizieren, so Raffaelli.

Dass Frauen aber auch insgesamt häufiger als Männer von Schmerzen/Schmerzsyndromen betroffen seien und ein größeres Risiko für chronische Schmerzen haben, lassen experimentelle Untersuchungen vermuten, die darauf hindeuten, dass Frauen schmerzempfindlicher sind und eine niedrigere Schmerzschwelle haben. Ebenso scheinen Entzündungsreaktionen und die Immunantwort bei Frauen stärker oder anders ausgeprägt zu sein als bei Männern. Vor diesem Hintergrund sensibilisierte Dr. Rosenberger für die soziokulturellen Einflüsse und warnte eindringlich vor voreiligen Schlüssen: Nicht auszuschließen sei, dass Schmerzschilderungen weiblicher Patienten - z.B. im Zusammenhang mit einer Endometriose – von Untersuchenden emotionaler wahrgenommen und daher leichtfertig psychologisiert würden, wohingegen Beschwerden von Männern tendenziell eher körperliche Ursachen zugeschrieben würden.

Hinzukomme, dass Medikamentenstudien in der Vergangenheit primär an Männern durchgeführt worden seien. Inzwischen stehe aber fest, dass sich deren Ergebnisse und Dosierungen nicht generell auf Frauen übertragen lassen, weil viele Medikamente bei Frauen anders wirken bzw. sich anders verteilen/anders abgebaut werden. „Das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede sollte geschärft werden“, appellierte Dr. Rosenberger abschließend an die Zuhörerschaft und brachte ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die insoweit noch am Anfang stehende Forschung weiter voranschreitet und Patienten beider Geschlechter gleichermaßen einbezieht, um Therapien effektiver zu machen.

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