Das radiologisch isolierte Syndrom (RIS)
Radiologically isolated syndrome
Epidemiologie
- Nachweis von vermutlich entzündlichen Läsionen bei 0,3-1% der zerebralen Kernspintomographien (Normalbevölkerung)
- Bei Verwandten ersten Grades bis zu 10% Multiple Sklerose Erkrankter in bis zu 10% MS-typische Veränderungen in der Kernspintomographie
Symptome
- Anamnestisch eine passageren fokal neurologischen Defizite eruierbar, die auf eine Multiple Sklerose hinweise
- Unauffällige klinisch neurologische Untersuchung
- Unauffällige elektrophysiologiische Zusatzdiagnostik (AEP, SEP, VEP, MEP)
Diagnostikkriterien
Vorgeschlagene Diagnosekriterien von Okuda et al. 2009
Präsenz der cerebralen Läsionen erfüllt folgende MRT-Kriterien
A. Läsionsmuster:
- Rundliche, gut abgrenzbare, homogene Läsionen mit oder ohne Beteiligung des Korpus callosum
- T2-Hyperintensitäten mit Mindestgröße von 3mm, müssen den Barkhof Kriterien der räumlichen Dissemination (entsprechend den Multipe Sklerose Kriterien) erfülllen
- Örtliche Dissemination durch >1 T2 Läsion in mind. 2 (3) von 4 Arealen des ZNS:
- juxtakortikal, periventrikulär, infratentoriell, Rückenmark
- Urprüngliche Barkhof-Kriterien in 3 von 4 Arealen des ZNS
- Örtliche Dissemination durch >1 T2 Läsion in mind. 2 (3) von 4 Arealen des ZNS:
- Läsionen der weißen Substanz zeigen kein vaskuläres Verteilungsmuster
B. Leere Anamnese hinsichtlich remittierender klinischer Symptome, die mit neurologischen Ausfällen einhergehen
C. MRT-Veränderungen bedingen keine Beeinträchtigung hinsichtlich Alltag, Arbeit oder anderer genereller Funktionseinbußen
D. MRT-Veränderungen sind nicht direkte physiologische Effekte verschiedener Substanzen zurückzuführen (Drogenkonsum, Exposition toxischer Stoffe) oder auf andere medizinische Umstände
E: Ausschluß von Patienten, deren MRT-Befunde eine Leukenzephalopathie oder ausgeprägte Affektion der weißen Substanz zeigen, ohne Beteilgung des Korkus callosum
F. Die MRT-Veränderungen sind nicht auf andere Erkrankungen zurückzuführen
Liquor
- In ca. 1/2-2/3 der Fälle Nachweis oligoklonaler Banden oder autochthoner IgG Produktion
Diagnostik
Ausschluß anderer Ursachen cerebraler Läsionen
- Vaskulitiden (Lupus erythematodes, Sjögren-Syndrom, Morbus Behcet, Wegener-Granulomatose, Antipohospholipidsyndrom, ADEM, NMO-Spektrum-Erkrankungen
- Durchführung einer entsprechenden Labordiagnostik und evtl. rheumatolologische Vorstellung
Kernspintomographie
- Ergänzende Diagnostik der spinalen Achse
- Bei Nachweis von GD-aufnehmenden Herden im primären Kopf-MRT Verlaufskontrolle nach 6 Monaten
- MRT Verlauf ansonsten nach 24 Monaten (fehlende fokal neurologische Defizite vorausgesetzt)
SEP-Diagnostik
- Visuell evozierte Potentiale (VEP), Medianus-SEP, Tibialis-SEP, akustisch evozierte Potentiale (AEP), magnetisch evozierte Potentiale (MEP)
- Sinnvoll zur Verlaufsbeobachtung
Kognitive Testung:
- Psychometrische Tests sinnvoll (Tests entsprechend der Diagnostik bei Multipler Sklerose)
- Verlaufskontrolle nach 1-2 Jahren
- Bei klinischer Verschlechterung Vorgehen wir bei einem klinisch isolierten Syndrom möglich, jedoch nicht zwingend!
Liquordiagnostik:
- Fehlende Relevanz hinsichtlich Therapieentscheidung
- Liquorpunktion dementsprechend entbehrlich
- Indikation nur zur differenzialdiagnostischen Abklärung
Neurologische Verlaufsuntersuchungen:
- Nach 6, 12 bzw. 24 Monaten sinnvoll
- Bei Nachweis einer neu aufgetretenen klinischen Symptomatik:
- Diagnose eines klinisch isolierten Syndroms
Therapie
- Restriktives Vorgehen hinsichtlich Indikationsstellung zur Behandlung bei fehlender klinischer Symptomatk
- Therapie kann erwogen werden bei Zunahme MS-typischer Läsionen in kernspintomographischen Verlaufskontrollen
Prognose
Kernspintomographie
- Bei ca. 60-75% innerhalb von 5 Jahren Nachweis einer Progredienz im MRT
- Der Nachweis asymptomatischer spinaler oder infratentorieller Läsionen erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Progression in chronische oder schubförmig-remittierende Multiple Sklerose
- Nachweis von Gadolinium-aufnehmenden Herden im initalen MRT prognostisch ungünstig
Prognose hinsichtlich Multiple Sklerose bzw. klinisch isoliertes Syndrom
- Bei ca. 1/3 innerhalb von 5 Jahren Nachweis einer klinischen Symptomatik und somit Übergang in eine Multiple Sklerose bzw. ein klinisch isoliertes Syndrom
- 30-45% der RIS-Patienten entwickeln fokal neurologische Defizite
- Übergang von RIS in CIS bzw. MS im Schnitt zwischen 2.3-5.4 Jahre
- Bei Nachweis spinaler oder infratentorieller Läsionen, jungem Alter und positiven oligoklonalen Banden sehrhohe Wahrscheiinlichkeit hinsichtlich der Entwicklung einer MS
Weiterführende Literatur
Fachartikel
- The radiologically isolated syndrome. Lebrun C. Rev Neurol (Paris). 2015 Oct;171(10):698-706. doi: 10.1016/j.neurol.2015.05.001. Epub 2015 Sep 26.
- Conversion from Radiologically Isolated Syndrome to Multiple Sclerosis. Etemadifar et al. Int J Prev Med. 2014 Nov; 5(11): 1379–1386.