Migräne (ICD-10 G43.x)

Hemikranie, Migraine sans Migraine, einfache Migräne, klassische Migräne, basiläre Migräne, vertebrobasiläre Migräne, Bickerstaff-Migräne

Formen

  • Migräne ohne Aura ICD-10 G43.0
  • Migräne mit Aura ICD-10 G43.1
  • Isolierte Aura ICD-10 G43.1x4
  • Status migraenosus ICD-10 G43.2
  • Retinale Migräne ICD-10 G43.81
  • Vestibuläre Migräne ICD-10 G43.1
  • Basilarismigräne ICD-10 G43.1x3
  • Familiäre hemiplegische Migräne ICD-10 G43.1x5
  • Periodische Syndrome in der Kindheit

Ätiologie

  • Aura: Spreading Depression: Exzitationswelle mit Ausbreitung von occipital nach frontal mit folgender neuronaler Hemmung

Diagnosekriterien der Migräne nach IHS- Klassifikation ICHD-3

Episodische Migräne (ohne Aura)

  • A. Mindestens fünf Attacken1, welche die Kriterien B bis D erfüllen

  • B. Kopfschmerzattacken, die (unbehandelt oder erfolglos behandelt) 4-72 Stunden anhalten

  • C. Der Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden vier Charakteristika auf:

    1. Einseitige Lokalisation

    2. Pulsierender Charakter

    3. Mittlere oder starke Schmerzintensität

    4. Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten (z.B. Gehen oder Treppensteigen) oder führt zu deren Vermeidung

  • D. Während des Kopfschmerzes besteht mindestens eines:

    1. Übelkeit und/oder Erbrechen

    2. Photophobie und Phonophobie

  • Nicht besser durch eine andere ICHD-3-Diagnose erklärbar

Episodische Migräne (mit Aura)

  • A. Mindestens zwei Attacken, die die Kriterien B und C erfüllen

  • B. Eines oder mehrere der folgenden vollständig reversiblen Aurasymptome:

    • Sehstörungen

    • Sensibilitätsstörungen

    • Sprachstörungen

    • Motorische Störungen

    • Hirnstammsymptome

    • Retinale Symptome

  • C. Mindestens drei der folgenden sechs Merkmale:

    1. Mindestens ein Aurasymptom breitet sich allmählich über ≥5 Minuten aus

    2. Zwei oder mehr Aurasymptome treten nacheinander auf

    3. Jedes einzelne Aurasymptom dauert 5-60 Minuten an

    4. Mindestens ein Aurasymptom ist einseitig

    5. Mindestens ein Aurasymptom ist positiv

    6. Die Aura geht mit Kopfschmerzen einher oder wird innerhalb von 60 Minuten von Kopfschmerzen gefolgt

  • D. Nicht besser durch eine andere ICHD-3 Diagnose zu erklären.

Chronische Migräne

  • A. Kopfschmerz (migräneartiger oder spannungsartiger1) an ≥15 Tagen/Monat seit >3 Monaten, der die Kriterien B und C erfüllt
  • B. Auftreten bei einem Patienten, der mindestens fünf Attacken hatte, die die Kriterien B-D für Migräne ohne Aura und/oder die Kriterien B und C für Migräne mit Aura erfüllen

  • C. An ≥8 Tagen/Monat seit >3 Monaten, die eines der folgenden Kriterien erfüllen:

    1. Kriterien C und D für Migräne ohne Aura

    2. Kriterien B und C für Migräne mit Aura

    3. Der Patient ist der Ansicht, dass es sich bei Beginn der Kopfschmerzen um eine Migräne handelt. Der Kopfschmerz wird durch ein Triptan oder ein Ergot-Derivat gelindert

  • D. Nicht besser durch eine andere ICHD-3-Diagnose erklärbar

Quelle: IHS Classifcation ICHD-3

Pathophysiologie des Kopfschmerzes

  • Neurogene Entzündungsreaktion. Freisetzung von Serotonin und CGRP. Gefäßdilatation

Epidemiologie

  • Prävalenz ca. 10% der Erwachsenen, ca. 5% der Kinder und Jugendlichen
  • In Deutschland ca. 8 Millionen Betroffene
  • w>m
  • Beginn meist 15.-25., häufigstes Auftreten zwischen 35.-45. LJ

Aura

Visuelle Aura

  • Flimmerskotom, häufig einseitig im äußeren Gesichtsfeld (Fortifikationen, "zerbochene Fensterscheibe"), gel. auch zentrales Skotom, auch Kreise, Punkte langsam ausbreitend, Dauer Minuten bis max. zu ca. einer Stunde

Sensible Störungen

  • Einseitige Sensibilitätsstörungen

Sprachstörungen

  • Meist Wortfindungsstörungen, gel. auch Sprachverständnisstörungen  o.a. neuropsychologische Defizite

Motorische Störungen

  • Meist brachiofaziale einseitige Paresen
  • Symptomatik äußerst selten
  • typisch für Familiäre hemiplegische Migräne

Verlauf der Aura

  • Meist beginnend mit visueller Aura, danach Sprachstörungen, und sensible Störungen
  • Auren auch jeweils isoliert möglich
  • Dauer meist <1h, selten bis zu mehrere Stunden (bei längerer Dauer: Migräne mit prolongierter Aura, bis zu 7 Tage)
  • Auftreten des Migränekopfschmerzes im Anschluß oder überlappend mit Aura
  • Auren häufig isoliert ohne nachfolgenden Kopfschmerz (Migraine sans Migraine)
  • Auren im Alter häufig zunehmend, dann auch isoliert
  • Auftreten isolierter Auren in jedem Alter möglich, auch ohne vorher bekannte Migräne

Symptome der Migräne

Gel. Prodromalphase Stunden bis zu einem Tag vor Einsetzen der Migräne

  • Heißhunger, Müdigkeit, Überempfindlichkeit, Unruhe, Konzentrationsminderung

Kopfschmerz

  • Dauer 4-72h

2 der folgenden Charakteristika

  • Meist drückender Charakter, auch pulsierend, klopfender Charakter insbesondere bei körperlicher Anstrengung
  • Meist halbseitiges Auftreten, selten seitenwechselnd, gel. vom Nacken ausstrahlend
  • Mittlere bis starke Intensität
  • Verstärkung durch leichte körperliche Aktivität

Begleitsymptomatik

(eines der folgenden Charakteristika)

  • Begleitend Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen
  • Licht-, Geräusch-, Geruchsempfindlichkeit

Status migraenosus (ICD-10 G43.2)

  • Dauer >72h, oder weniger als 4h beschwerdefreies Intervall

Provokationsfaktoren

  • Entspannung nach Streß (typisch am Wochenende!)
  • Streß
  • Nahrungsmittel (Schokolade, Alkohol, Käse, Aspartam...)
  • Hormonelle Änderungen (Kontrazeption, Menses...)
  • Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Wetter

Spezielle Migräneformen

Vestibuläre Migräne

Basiläre Migräne

  • Hirnstammsymptome während Aura (Doppelbilder, Drehschwindel, Parästhesien im Gesicht, Dysarthrie, Tinnitus, Ataxie, Paresen)

Retinale Migräne

  • Vorübergehende einseitige Erblindung zwischen 1- 60 min.
  •  Vorher, gleichzeitig oder folgende Kopfschmerzen
  •  Auftreten auch isoliert ohne begleitenden Kopfschmerzen möglich!

Familiär hemiplegische Migräne

  • Einseitige Parese oder cerebelläre Symptomatik im Rahmen der Aura

Menstruelle Migräne

  • Migräneattacken, die bis zu 2 Tage vor und bis  zu 3 Tage nach der Menses auftreten
  • Auftreten an mind. 2 von 3 menstruellen Zyklen
  • Migränekopfschmerzen zwischen den Menses sprechen nicht gegen eine hormonelle Migräne

Migräne in der Schangerschaft

  • Während Schwangerschaft meist Abnahme der Migränefrequenz >50% der Patientinnen
  • Meist Abnahme im ersten Trimenon
  • Gel. komplettes Sistieren der Migräneattacken
  • Bei hormonell gebundener Migräne meist deutlichere Besserung in Schwangerschaft
  • Migräne mit Aura gel. Erstauftreten in der Schangerschaft, auch isolierte Auren

Besonderheiten bei der klinischen Untersuchung

  • Fundoskopie, Meningismus, Zeichen einer Sinusitis?
  • Vegetativ-autonome Symptome? (DD trigemino-autonome Kopfschmerztypen)

Prophylaktische Therapie (Detailinformationen nach Login)

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Indikation

  • Mehr als 4 Migränetage/Monat
  • Lange Dauer der Kopfschmerzattacken (über Tage)
  • Unzureichende Wirkung der Akutmedikation
  • Entscheidung über Indikation zur Prophylaxe erfolgt individuell!

Monoklonale Antikörper

  • Galcanezumab
  • Erenumab
  • Fremanezumab

Orale Prophylaxe

  • Betablocker
    • Metoprolol
    • Propranolol
    • Bisoprolol
  • Flunarizin
  • Valproat
  • Topiramat
  • Amitriptylin

Weitere Alternativen

  • Magnesium
  • Pestwurz
  • Acetylsalicylsäure
  • Naproxen

Off-label-Use

  • Lisinopril
  • Candesartan

Chronische Migräne

  • Siehe auch "monoklonale Antikörper und orale Prophylaxe"
  • Botulinumtoxinbehandlung

Nicht medikamentöse Therapie

  • Entspannungsverfahren (Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, autogenes Training, Yoga)
  • Treiben von Ausdauersport (Joggen, Schwimmen, Fahrradfahren)
  • Streßbewältigungstraining

Digitale Applikationen

  • sinCephalea App
    • App zur Dokumentation der Migräne
    • Zielt auf Zusammenhang des Auftretens der Migräne und dem Blutzuckerspiegel
    • Unterstützung

Akuttherapie der Migräneattacke (Detailinformationen nach Login)

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Schmerzmedikation oral

  • Paracetamol 
  • ASS 
  • Naproxen 
  • Novalgin
  • Ibuprofen 

Triptane

  • Sumatriptan
  • Eletriptan
  • Rizatriptan 
  • Frovatriptan
  • Almotriptan
  • Zolmitriptan
  • Naratriptan

Bei unzureichender Wirkung eines Triptans Kombination mit 400-800mg Ibuprofen sinnvoll
 

Schmerzmedikation intravenös

  • Methylprednisolon 
  • ASS 
  • Metamizol: 

Schmerzmedikation Subkutan

  • Sumtriptan s.c.

Schmerzmedikation nasal

  • Zolmitriptan 5mg
  • Sumatriptan

Nichtmedikamentöse Therapie

  • Vagusnervstimulation

Antiemetikum

  • Metoclopramid
  • Domperidon 

Status migraenosus

  • Migräneattacke mit Dauer >72h
  • Prednisolon 
  • Acetylsalicylsäure

Unwirksam

  • Die Wirksamkeit eines Verschlusses eines offenen Foramen ovale ist unwirksam! (siehe Literatur)

Therapie der Migräne bei Frauen (Detailinformationen nach Login)

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Menstruelle Migräne (Diagnostik siehe oben)

Akuttherapie:

Akuttherapie entsprechend der allgemeinen Therapierichtlinien

Prophylaxe:

  • Therapie schwierig, wenig validiert
  • Gabe der genannten Medikamente während der Menses bzw. der Kopfschmerzepisode
  • Östrogensubstitution (Salbe/ Pflaster/ Tablette)
    • Rebound Kopfschmerz nach Absetzen möglich
  • Naproxen
  • Frovatriptan
  • Naratriptan
  • Sumatriptan
  • Durchgehende Einnahme der oralen Kontrazeption

Orale Kontrazeption

  • Patientinnen über möglicherweise minimal erhöhtes Schlaganfallrisiko aufklären (bei Vorliegen einer Migräne mit Aura)
  • Migräne ohne Aura:
    • Bisher keine sicheren Daten hinsichtlich eines erhöten Schlaganfallrisikos bei Einnahme oraler Kontrazeptiva
    • Gabe von Kombinationspräparaten (Östrogen und Gestagen) möglich
  • Migräne mit Aura:
    • Möglicherweise minimal erhöhtes Schlaganfallrisiko
    • Patientinnen über potentiell erhöhtes Risiko aufklären
    • Kombinationspräparate möglich, jedoch erhöhte Vorsicht
    • Evtl. Gestagenpräparate bevorzugen
    • Datenlage sehr uneinheitlich, ebenso Empfehlungen der Fachgesellschaften, WHO

Schwangerschaft

Akuttherapie

  • Medikation wenn möglich selten einsetzen, niedrig wirksamste Dosis
  • Paracetamol
    • Emryotoxische Wirkung äußerst gering, nur fraglich
  • Ibuprofen
    • Im ersten und zweiten Trimenon Gabe möglich
    • Keine Gabe im dritten Trimenon (Vorzeitiger Verschluß des Ductus arteriosus)
  • Acetylsalicylsäure - Bis zur 28 SSW. strenge Indikationsstellung, danach Gabe vermeiden!
  • Triptane
    • Bisher beste Datenlage für Sumatriptan
      • Sehr gute Datenlage für das erste Trimenon
      • Bisher keine Anhaltspunkte einer embryotoxischen Wirkung
    • Alternativ Rizatriptan
    • Gabe nur bei Therapieresistenz unter Paracetamol oder Ibuprofen
  • Steroide
    • Soweit bekannt keine embryotoxische Wirkung
    • Gabe bei länger anhaltenden Migräneattacken
    • Prednison (-olon) per os oder intravenös
  • Antiemetika
    • Dimenhydrinat oder Metoclopramid (2. Wahl)

Prophylaxe

  • Magnesium:  Wirkt zudem wehenhemmend
  • Metoprolol:  Möglichst niedrige Dosis wählen
  • Amitriptylin: Sehr strenge Indikationsstellung (o.g. Alternativen günstiger)

Stillzeit

Frequenz der Migräne 

  • Meist ähnliche Frequenz wie während der Schwangerschaft

Akuttherapie

  • Paracetamol 
    • Keine Auswirkung auf gestilltes Kind zu erwaren
  • Ibuprofen
    • Mitttel der ersten Wahl
  • Acetylsalicylsäure
    • Soweit bekannt keine Auswirkung - dennoch nur dritte Wahl
  • Triptane
    • Sumatriptan
    • Keine Hinweise einer Auswirkung auf gestilltes Kind
    • Alternativ Rizatriptan 
    • Gabe nur bei Therapieresistenz unter Paracetamol oder Ibuprofen
  • Steroide
    • Soweit bekannt keine schädigende Wirkung
    • Gabe bei länger anhaltenden Migräneattacken
    • Prednison (-olon) per os oder intravenös 
    • Möglichst direkt nach dem Stillen (bei intravenöser Gabe)

Prophylaxe

  • Therapie entsprechend der Schwangerschaftsprophylaxe der Migräne

Procedere

  • Anamnese!
  • Kopfschmerztagebuch 
  • Nur zur Ausschlußdiagnostik:
    • MRT-Kopf
    • EEG
    • Duplex-Carotis (Ausschluß Dissektion)

Verlauf

  • Sehr variabel
  • Das Erscheinungsbild der Migräne variiert häufig im Laufe des Lebens
  • Gel. auch isolierte Migräneauren erst in 4-5. Dekade ohne vorhergehende Kopfschmerzattacken

Differentialdiagnose

Bitte beachten Sie unseren <link impressum>Haftungsausschluß