News aus dem Fachbereich Neurologie

Deutscher Schmerzkongress 2024 in Mannheim - Gemeinsam für eine innovative und zukunftsfähige Schmerzmedizin

Unter dem Motto „WIR! Gestalten Zukunft“ fand vom 16. bis 19. Oktober 2024 in Mannheim der Deutsche Schmerzkongress statt, der jährlich von der Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft  e.V. (DMKG) veranstaltet wird und mit dem Online-Patiententag zum Thema „Zukunft ohne Stigma“ abschloss.

Die Schwerpunkte „Versorgung“, „Zukunftssicherung“ und „Digitalisierung“ sowie Beiträge zu hochrelevanten, aber unterversorgten Krankheitsbildern wie u.a. der vestibuläre Migräne, dem Clusterkopfschmerz, der Endometriose und dem Lipödem standen in diesem Jahr im Zentrum der intensiven interdisziplinären Diskussionen und innovativen Lösungsansätze des Kongresses.

In zahlreichen Formaten – von praxisorientierten Workshops bis hin zu aktuellen Symposien– arbeiteten die Teilnehmenden gemeinsam an der Zukunft der Schmerztherapie und schufen - wie von Kongresspräsidentin Prof. Dr. Dagny Holle-Lee, Essen, und Kongresspräsident Prof. Dr. Joachim Erlenwein, Göttingen, intendiert - eine lebendige „Zukunftswerkstatt“. Ein besonderes Highlight war das Präsidentensymposium, das sich der wachsenden Bedeutung von Medizin-Influencern widmete und sechs ausgewählte „digitale Botschafter für Informationen zu Schmerz- und Gesundheitsthemen“ aus unterschiedlichen Bereichen zu Wort kommen ließ.

Wir waren vor Ort und geben Ihnen einen Überblick über die Schwerpunkte des Kongresses:

Christine Thilmann     I           21.10.2024

 

Aktuelles zu Versorgungsfragen und Zukunftssicherung

Obwohl die aktuelle schmerztherapeutische Regelversorgung spezialisierte ambulante, teilstationäre und stationäre Behandlungsmöglichkeiten u.a. im Rahmen einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST) biete, sei die aktuelle Versorgungslage angesichts von etwa 22 Millionen Menschen mit anhaltenden Schmerzen und davon vier Millionen chronischen Schmerzpatienten mit bereits schwerer körperlicher und psychosozialer Beeinträchtigung in Deutschland weder qualitativ noch quantitativ ausreichend, konstatierte Prof. Dr. Frank Petzke, designierter Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V., Göttingen, im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses 2024. Zudem gefährde die geplante Krankenhausreform in ihrer aktuellen Form das derzeit erreichte Versorgungsniveau und leiste einer Unterversorgung Vorschub, da deren zentrales Steuerungselement der Leistungsgruppen bislang nicht – wie für dringlich erachtet – zumindest eine eigene Leistungsgruppe für die Schmerzmedizin vorsieht. 

Kongresspräsident Prof. Dr. Joachim Erlenwein, Göttingen, hob in diesem Zusammenhang das Spannungsfeld hervor, das sich aus der geplanten Ambulantisierung, der beabsichtigten Schließung zahlreicher Kliniken im Zuge der Krankenhausreform, dem dadurch bedingten Entfallen von Weiterbildungsstätten und daraus resultierendem - schon jetzt feststellbarem -Nachwuchsmangel ergebe und eine Versorgungskrise für chronische Schmerzpatienten befürchten lasse. Wie bereits im Frühjahr diesen Jahres in einem entsprechenden Beschluss des Ärztetages festgehalten, sei die  teil- und vollstationäre schmerzmedizinische Versorgung sowie eine umfassende ambulante Betreuung unerlässlich, um die die Versorgungssicherheit von chronischen Schmerzpatienten in Deutschland zu gewährleisten. „Patientinnen und Patienten warten oft Monate oder Jahre auf eine adäquate schmerztherapeutische Behandlung“, kritisierte auch Kongresspräsidentin Prof. Dr. Dagny-Holle-Lee, Essen.  Dies bestätigte Heike Norda, Vorsitzende des bundesweiten Vereins UVSD SchmerzLOS e.V., Neumünster, die eine maximale Wartezeit von vier Wochen für eine adäquate Schmerztherapie forderte und darauf hinwies, dass chronischer Schmerz als „stilleErkrankung“ für Außenstehende oft nicht sichtbar sei, aber weitreichende bio-psycho-soziale Folgen habe.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass eine frühzeitige Intervention bei Schmerzpatienten einer Chronifizierung der Schmerzen vorbeugen könne, appellierten alle Experten an Politik und Kostenträger, die Voraussetzungen für eine adäquate Finanzierung zu schaffen und sich für das sowohl ambulant als auch (teil-)stationär Angebot einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen, interdisziplinären und multimodalen Schmerzttherapie stark zu machen.

 

Digitalisierung und Schmerzmedizin – mit DiGAs, VR und KI in die Zukunft

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zur Schmerzbewältigung und -reduktion bieten nach Einschätzung der Kongresspräsidentin und Kopfschmerzexpertin Prof. Dr. Dagny Holle-Lee, Essen, sowie aus Sicht von Privatdozent Dr. Lars Neeb, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), Brandenburg an der Havel, eine Vielzahl von Vorteilen: Mithilfe dieser „Apps auf Rezept“ und ihren algorithmengestützten Programmen sei es Patienten möglich, ihre Schmerzsymptome zu dokumentieren, ihren Krankheitsverlauf zu überwachen und gezielte Übungen zur Schmerzbewältigung wie beispielsweise Entspannungverfahren durchzuführen. Gerade den im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung verspürten Kontrollverlust empfänden Schmerzpatienten häufig als besonders belastend, so Holle-Lee. Durch den Einsatz solcher von DiGAs würden sie aktiv in den Behandlungsprozess einbezogen, was die Selbstwirksamkeit stärke und das Gefühl vermittle, die Kontrolle zurückzuerlangen. Im Hinblick auf die zunehmende Anzahl von Schmerzpatienten und den gleichzeitigen Fachkräftemangel entlaste dies Ärzte und Therapeuten, auch wenn DiGAs selbstverständlich nicht die persönliche Arzt-Patienten-Beziehung ersetzen, sondern nur als wertvolle Ergänzung dienen könnten. Derzeit sei die Möglichkeit der Inanspruchnahme solcher DiGAs noch zeitaufwendig, weil die entsprechende App auch im Fall ihrer ärztlichen/therapeutischen Verordnung erst nach erfolgter Prüfung durch die Krankenkasse freigeschaltet werde; mit Verbesserungen sei aber zu rechnen.

Auch die Anwendung von Virtual Reality (VR) zeige in Studien Erfolge bei Patienten mit chronischen Schmerzen, informierte Privatdozent Dr. Lars Neeb. Im Sinne sog. Ablenkungstherapien würde die Aufmerksamkeit der Betroffenen von ihren Schmerzen abgelenkt und ihnen die Möglichkeit gegeben, in angenehme virtuelle Welten einzutauchen. Dadurch könnten Stress und negative Emotionen reduziert werden, was wiederum zu einer Schmerzlinderung führe und sich insbesondere bei neuropathischen Schmerzen und Rückenschmerzen bewährt habe. Ein vielversprechenderr Ansatz ist Neeb zufolge auch die Kombination von VR und Biofeedback-Techniken, bei denen Patienten durch visuelle und auditive Rückmeldungen lernen, Körperspannung und Stresslevel zu kontrollieren. Insgesamt sei die Zukunft der digitalen Schmerztherapie verheißungsvoll; so verfolge man mit Spannung den wachsenden Bereich der sog. Augmented Reality (AR), bei der digitale Informationen in die reale Welt projiziert werden. Eine solche Technologie könnte Patienten – zugeschnitten auf ihre individuellen Schmerzbedürfnisse - in Echtzeit körperliche Übungen oder Meditationstechniken anzeigen.

Insgesamt biete die Künstliche Intelligenz (KI), die im Rahmen der neuen digitalen Trends zum Einsatz komme, zwar die Chance, Diagnosen schneller und genauer als menschenmöglich zu stellen; gleichwohl seien damit bioethische Herausforderungen verbunden. So stelle sich die Frage, wer die Verantwortung trage, wenn eine durch KI generierte Diagnose falsch sei, gab Holle-Lee zu bedenken. Auf die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung durch KI-Algorithmen sei daneben ebenso Wert zu legen wie auf die Einhaltung des Datenschutzes und die Sicherstellung einer vorurteilsfreien, sozialen Ungleichkeiten entgegenwirkenden Arbeitsweise der KI. Empathie und kommunikative Fürsorge als wesentliches menschliches Element in der Gesundheitsversorgung dürften trotz der zunehmenden Digitalisierung nicht in den Hintergrund treten.

Deutscher Schmerzkongress 2024 in Mannheim - Gemeinsam für eine innovative und zukunftsfähige Schmerzmedizin

Unter dem Motto „WIR! Gestalten Zukunft“ fand vom 16. bis 19. Oktober 2024 in Mannheim der Deutsche Schmerzkongress statt, der jährlich von der Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft  e.V. (DMKG) veranstaltet wird und mit dem Online-Patiententag zum Thema „Zukunft ohne Stigma“ abschloss.

Die Schwerpunkte „Versorgung“, „Zukunftssicherung“ und „Digitalisierung“ sowie Beiträge zu hochrelevanten, aber unterversorgten Krankheitsbildern wie u.a. der vestibuläre Migräne, dem Clusterkopfschmerz, der Endometriose und dem Lipödem standen in diesem Jahr im Zentrum der intensiven interdisziplinären Diskussionen und innovativen Lösungsansätze des Kongresses.

In zahlreichen Formaten – von praxisorientierten Workshops bis hin zu aktuellen Symposien– arbeiteten die Teilnehmenden gemeinsam an der Zukunft der Schmerztherapie und schufen - wie von Kongresspräsidentin Prof. Dr. Dagny Holle-Lee, Essen, und Kongresspräsident Prof. Dr. Joachim Erlenwein, Göttingen, intendiert - eine lebendige „Zukunftswerkstatt“. Ein besonderes Highlight war das Präsidentensymposium, das sich der wachsenden Bedeutung von Medizin-Influencern widmete und sechs ausgewählte „digitale Botschafter für Informationen zu Schmerz- und Gesundheitsthemen“ aus unterschiedlichen Bereichen zu Wort kommen ließ.

Wir waren vor Ort und geben Ihnen einen Überblick über die Schwerpunkte des Kongresses:

Christine Thilmann     I           21.10.2024

 

Aktuelles zu Versorgungsfragen und Zukunftssicherung

Obwohl die aktuelle schmerztherapeutische Regelversorgung spezialisierte ambulante, teilstationäre und stationäre Behandlungsmöglichkeiten u.a. im Rahmen einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST) biete, sei die aktuelle Versorgungslage angesichts von etwa 22 Millionen Menschen mit anhaltenden Schmerzen und davon vier Millionen chronischen Schmerzpatienten mit bereits schwerer körperlicher und psychosozialer Beeinträchtigung in Deutschland weder qualitativ noch quantitativ ausreichend, konstatierte Prof. Dr. Frank Petzke, designierter Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V., Göttingen, im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses 2024. Zudem gefährde die geplante Krankenhausreform in ihrer aktuellen Form das derzeit erreichte Versorgungsniveau und leiste einer Unterversorgung Vorschub, da deren zentrales Steuerungselement der Leistungsgruppen bislang nicht – wie für dringlich erachtet – zumindest eine eigene Leistungsgruppe für die Schmerzmedizin vorsieht. 

Kongresspräsident Prof. Dr. Joachim Erlenwein, Göttingen, hob in diesem Zusammenhang das Spannungsfeld hervor, das sich aus der geplanten Ambulantisierung, der beabsichtigten Schließung zahlreicher Kliniken im Zuge der Krankenhausreform, dem dadurch bedingten Entfallen von Weiterbildungsstätten und daraus resultierendem - schon jetzt feststellbarem -Nachwuchsmangel ergebe und eine Versorgungskrise für chronische Schmerzpatienten befürchten lasse. Wie bereits im Frühjahr diesen Jahres in einem entsprechenden Beschluss des Ärztetages festgehalten, sei die  teil- und vollstationäre schmerzmedizinische Versorgung sowie eine umfassende ambulante Betreuung unerlässlich, um die die Versorgungssicherheit von chronischen Schmerzpatienten in Deutschland zu gewährleisten. „Patientinnen und Patienten warten oft Monate oder Jahre auf eine adäquate schmerztherapeutische Behandlung“, kritisierte auch Kongresspräsidentin Prof. Dr. Dagny-Holle-Lee, Essen.  Dies bestätigte Heike Norda, Vorsitzende des bundesweiten Vereins UVSD SchmerzLOS e.V., Neumünster, die eine maximale Wartezeit von vier Wochen für eine adäquate Schmerztherapie forderte und darauf hinwies, dass chronischer Schmerz als „stilleErkrankung“ für Außenstehende oft nicht sichtbar sei, aber weitreichende bio-psycho-soziale Folgen habe.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass eine frühzeitige Intervention bei Schmerzpatienten einer Chronifizierung der Schmerzen vorbeugen könne, appellierten alle Experten an Politik und Kostenträger, die Voraussetzungen für eine adäquate Finanzierung zu schaffen und sich für das sowohl ambulant als auch (teil-)stationär Angebot einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen, interdisziplinären und multimodalen Schmerzttherapie stark zu machen.

 

Digitalisierung und Schmerzmedizin – mit DiGAs, VR und KI in die Zukunft

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zur Schmerzbewältigung und -reduktion bieten nach Einschätzung der Kongresspräsidentin und Kopfschmerzexpertin Prof. Dr. Dagny Holle-Lee, Essen, sowie aus Sicht von Privatdozent Dr. Lars Neeb, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), Brandenburg an der Havel, eine Vielzahl von Vorteilen: Mithilfe dieser „Apps auf Rezept“ und ihren algorithmengestützten Programmen sei es Patienten möglich, ihre Schmerzsymptome zu dokumentieren, ihren Krankheitsverlauf zu überwachen und gezielte Übungen zur Schmerzbewältigung wie beispielsweise Entspannungverfahren durchzuführen. Gerade den im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung verspürten Kontrollverlust empfänden Schmerzpatienten häufig als besonders belastend, so Holle-Lee. Durch den Einsatz solcher von DiGAs würden sie aktiv in den Behandlungsprozess einbezogen, was die Selbstwirksamkeit stärke und das Gefühl vermittle, die Kontrolle zurückzuerlangen. Im Hinblick auf die zunehmende Anzahl von Schmerzpatienten und den gleichzeitigen Fachkräftemangel entlaste dies Ärzte und Therapeuten, auch wenn DiGAs selbstverständlich nicht die persönliche Arzt-Patienten-Beziehung ersetzen, sondern nur als wertvolle Ergänzung dienen könnten. Derzeit sei die Möglichkeit der Inanspruchnahme solcher DiGAs noch zeitaufwendig, weil die entsprechende App auch im Fall ihrer ärztlichen/therapeutischen Verordnung erst nach erfolgter Prüfung durch die Krankenkasse freigeschaltet werde; mit Verbesserungen sei aber zu rechnen.

Auch die Anwendung von Virtual Reality (VR) zeige in Studien Erfolge bei Patienten mit chronischen Schmerzen, informierte Privatdozent Dr. Lars Neeb. Im Sinne sog. Ablenkungstherapien würde die Aufmerksamkeit der Betroffenen von ihren Schmerzen abgelenkt und ihnen die Möglichkeit gegeben, in angenehme virtuelle Welten einzutauchen. Dadurch könnten Stress und negative Emotionen reduziert werden, was wiederum zu einer Schmerzlinderung führe und sich insbesondere bei neuropathischen Schmerzen und Rückenschmerzen bewährt habe. Ein vielversprechenderr Ansatz ist Neeb zufolge auch die Kombination von VR und Biofeedback-Techniken, bei denen Patienten durch visuelle und auditive Rückmeldungen lernen, Körperspannung und Stresslevel zu kontrollieren. Insgesamt sei die Zukunft der digitalen Schmerztherapie verheißungsvoll; so verfolge man mit Spannung den wachsenden Bereich der sog. Augmented Reality (AR), bei der digitale Informationen in die reale Welt projiziert werden. Eine solche Technologie könnte Patienten – zugeschnitten auf ihre individuellen Schmerzbedürfnisse - in Echtzeit körperliche Übungen oder Meditationstechniken anzeigen.

Insgesamt biete die Künstliche Intelligenz (KI), die im Rahmen der neuen digitalen Trends zum Einsatz komme, zwar die Chance, Diagnosen schneller und genauer als menschenmöglich zu stellen; gleichwohl seien damit bioethische Herausforderungen verbunden. So stelle sich die Frage, wer die Verantwortung trage, wenn eine durch KI generierte Diagnose falsch sei, gab Holle-Lee zu bedenken. Auf die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung durch KI-Algorithmen sei daneben ebenso Wert zu legen wie auf die Einhaltung des Datenschutzes und die Sicherstellung einer vorurteilsfreien, sozialen Ungleichkeiten entgegenwirkenden Arbeitsweise der KI. Empathie und kommunikative Fürsorge als wesentliches menschliches Element in der Gesundheitsversorgung dürften trotz der zunehmenden Digitalisierung nicht in den Hintergrund treten.