Eine Sialorrhoe (Speichelfluss) ist ein eher selten beachtetes Symptom bei einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen. Diese übermäßige Speichelproduktion ist für Betroffene unangenehm und bewirkt oft soziale Isolation, Stigmatisierung sowie eine insgesamt verminderte Lebensqualität. Sobald es zu solchen psychosozialen Folgen kommt und/oder die Sialorrhoe bzw. die meist zugrundeliegende Schluckstörung (Dysphagie) Auswirkungen auf die Gesundheit hat, ist sie für die Betroffenen ein ernst zunehmendes Problem.
Wie entsteht eine Sialorrhoe und warum sollte sie behandelt werden?
Die Symptomatik vermehrten Speichelflusses tritt entweder als Folge einer Schluckstörung (Dysphagie) oder auch im Rahmen einer übermäßigen Speichelbildung (Hypersalivation) auf. Im Rahmen der klinisch neurologischen Arbeit begegnet die Problematik insbesondere bei Patienten mit Morbus Parkinson als atypisches Symptom, mit amyotropher Lateralsklerose oder nach einem Schlaganfall auf.. Darüber hinaus ist eine Sialorrhoe auch bei Neuropathien, Muskelerkrankungen wie der Myasthenie sowie nach Schädelhirntrauma zu beobachten. Im Grunde genommen kann jede Erkrankung, die mit einer Schluckstörung einhergeht, auch eine Sialorrhoe zur Folge haben. Nicht zuletzt bewirken auch einzelne Medikamente, vor allem Neuroleptika, unter Umständen eine Sialorrhoe. Bei Parkinson-Patienten kommt es oft bereits in frühen Stadien infolge der verminderten Beweglichkeit der Mund- und Rachenmuskulatur zu einer Schluckproblematik, die mit einer Sialorrhoe einhergeht. Daher ist es wichtig, geeignete Therapiemöglichkeiten zu finden, um das Leiden der Betroffenen zu lindern.
Aufgrund des Aspirationrisikos und damit einhergehender schwerer Infekte sollte eine differenzierte Diagnostik durchgeführt werden. Das gilt umso mehr, als eine Dysphagie gerade im Alter zu Gewichtsabnahme und sogar Abmagerung (Kachexie) führen kann.
Wie kann eine Sialorrhoe diagnostiziert werden?
Wie bei fast allen Erkrankungen sollte eine differenzierte Anamneseerhebung mit Fragen insbesondere zu etwaigem Hustenreiz, Verschlucken, Räuspern und natürlich Speichelfluss erfolgen. Hieran schließt sich eine inspektorische klinische Untersuchung des Mund- und Rachenbereiches an. Als Screening-Instrument im klinischen Alltag können Fragebögen wie z.B. die Drooling Severity and Frequency Scale (DSFS), die SWAL-QOL and SWAL-CARE oder - spezifisch für die Parkinson-Erkrankung - der swallowing disturbance questionnaire (SDQ) und die Sialorrhea Clinical Scale for PD (SCS-PD) eingesetzt werden.
Diagnostische Methoden
Sollte der Verdacht auf eine Schluckstörung bestehen, empfiehlt sich zur Diagnostik und Beurteilung der Schwere einer Schluckstörung eine fiberoptische (FEES) Untersuchung. Diese ist inzwischen der Standard bei der Untersuchung einer Schluckstörung. Auch eine Gastroskopie oder ein klassischer „Breischluck“ können in der Diagnosestellung erforderlich und sinnvoll sein.
Welche therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung der Sialorrhoe gibt es?
Eine logopädische Behandlung kann in einigen Fällen durch gezieltes Training und das Erlernen bestimmter Schlucktechniken eine Besserung der Sialorrhoe bewirken. Eine Logopädie sollte fester Bestandteil in jeder Therapie einer Schluckstörung sein.
Medikamentöse Therapien
Medikamentös wurde lange Zeit eine anticholinerge Behandlung praktiziert. Diese kann oral in Form von Tabletten oder transdermal erfolgen. Zum Einsatz kommen insbesondere Atropin, Scopolamin und Glycopyrronium. Allerdings gilt es zu beachten, dass für die meisten dieser Medikamente keine Zulassung zur Behandlung der Sialorrhoe vorliegt und dementsprechend eine Therapie nur off-label in Betracht kommt.
Chirurgische Maßnahmen sind nur bei einen kleinen Teil der Betroffenen eine in Erwägung zu ziehende Therapiemöglichkeit. Es sollte eine ebenso strenge Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen wie bei der Möglichkeit einer externen Bestrahlung.
Neue Therapiestrategien
Eine aktuell vermehrt gewählte Therapieoption zur Behandlung der Sialorrhoe bei Morbus Parkinson ist die Injektion von Botulinumtoxin. Dieses Nervengift reduziert die cholinerge Wirkungen, verringert auf diese Weise die Aktivität der Speicheldrüsen und vermindert dementsprechend auch die Speichelproduktion. Diese Behandlung bewirkt oft eine signifikante Reduktion des Speichelflusses und lindert die damit verbundenen Beschwerden maßgeblich. Die Botulinumtoxin-Injektionen erfolgen in der Regel in die Parotis- und submandibulären Speicheldrüsen; die Wirkung hält meist mehrere Monate an. Die Nebenwirkungen dieser Behandlung sind in der Regel mild und nur vorübergehend; so kann es z.B. vorübergehend Schmerzen an der Injektionsstelle, einem passageren Trockenheitsgefühl im Mund oder einer Veränderung des Geschmacksempfindens kommen.
Insgesamt stellt die Therapie mit Botulinumtoxin eine wertvolle Option zur Linderung der Sialorrhoe bei Menschen mit Morbus Parkinson dar, welche die Lebensqualität der Betroffenen erheblich zu verbessern vermag. Wünschenswerte wäre daher eine noch breitere Versorgung der Patienten mit solchen Therapieangeboten.
Weitere Informationen zur medikamentösen Behandlung der Sialorrhoe sowie Lehrvideos finden Sie in unserem geschlossenen Ärztebereich.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Syndrom einer Sialorrhoe gut behandelbar ist, wobei sich das Augenmerk nicht nur hierauf, sondern auch auf die möglicherweise zugrunde liegende Schluckstörung richten sollte. Eine weitergehende Diagnostik ist daher bei diesem Erkrankungsbild dringend erforderlich. Vor diesem Hintergrund sollte die Schluckdiagnostik einen festen Platz in der routinemäßigen Diagnostik einer Parkinson-Erkrankung sowie anderen möglicherweise ursächlichen neurologischen Grunderkrankungen haben.
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