Zerebrale Sinus- und Venenthrombose (ICD-10 I67.6)
Synonyme
- Hirnvenenthrombose, Sinusvenenthrombose, SVT
Ätiologie
Gerinnungsstörungen
- Thrombophilie (bis zu 30% der Patienten)
Hormonell
- Orale Kontrazeption
- Schwangerschaft und Wochenbett
Hämatologische Erkrankungen
- Polyglobulie
- Thrombozytämie u.a.
Immunologische Ursachen
- Kollagenosen
- Vaskulitiden
- Impfungen
Iatrogene Auslöser
- Lumbalpunktion
- Intra- und extrakranielle Operationen
Maligne Erkrankungen
- Karzinom
- Leukämie
- Lymphome
Infektion (bei septischer Sinusvenenthrombose)
- Otitis media, Mastoiditis, Tonsillitis
- Abszeß (Zähne!)
- Meningitis
- Sinusitis
- Infektion im Gesicht (Sinus cavernosus)
Virale und parasitäre Erkrankungen
Pathophysiologie
- Stauungsödem, umschrieben oder ausgedehnt
- Entstehung eines Stauungsinfarkts mit hämorrhagischer Umwandlung
- Transvenöse Stauungsblutung
- Manifestation meist im Sinus sagittalis superior oder Sinus transversus (Häufig Sinus transversus asymmetrisch angelegt!), selten Sinus rectus und Brückenvenen
Epidemiologie
- Inzidenz 1-2/100.000/Jahr
- w>m, ca. 3:1
- Manifestation meist 3. und 4. Dekade
Symptome
- Auftreten der Symptomatik akut oder subakut (meist innerhalb von 7 Tagen)
- Fluktuierende Symptomatik über Tage bis Wochen möglich
Fokal neurologische Defizite
- Hirnnervensymptome:
- Diplopie durch Affektion des Nervus oculomotorius, trochlearis oder abduzens
- Stauungspapille
- Sensible oder motorische Halbseitensymptome
- Aphasie
Neuropsychologische Symptomatik
- Desorientiertheit
- Kognitive Einschränkungen
- Antriebsstörung
Unspezifische Symptomatik
- Kopfschmerzen
- Starke Intensität
- Diffuse Lokalisation
- Auftreten bei >75% der Patienten
- Sehr selten einziges Syndrom!
- Meist subakuter Beginn, zunehmende Intensität
- Gel. Donnerschlagkopfschmerz
- Übelkeit und Erbrachen
- Fokale oder generalisierte epileptische Anfälle
- Bewusstseinstrübung
- Sehstörung (Verschwommensehen)
- Chemosis, Exophthalmus, Okulomotorikstörung (Bei Sinus cavernosus Thrombose)
Diagnostik
Kernspintomographie mit Kontrastmittel
- T1, T2 und T2*-Wichtung (sehr sensitiv), venöse Angiographie
- Befund: Fehlende Darstellung des thrombosierten Sinus
- T1
- Akutphase Thrombus hyperintens, subakut isointens, Spätphase hyperintens (Methämoglobin
- T2
- Akut- und Subakutphase Thrombus hypointens, Spätühase hyperintens
- Cave anatomische Besonderheiten
- Asymmetrische Anlage des Sinus transversus häufig
- Sinus sagittalis superior in vorderem Drittel hypoplastisch
- Stauungsblutungen?
Computertomographie mit Kontrastmittel
- Falls kein MRT verfügbar
- Venöse computertomographische Angiographie
- Empty triangle sign (kontrastmittelumspülter Thrombus)
- Cord sign (Thrombus kortikaler Venen)
Digitale Subtraktionsangiographie
- Nur noch in Ausnahmefällen nötig
Labordiagnostik
- D-Dimere
- Bei neurologischen Defiziten >90% positiv
- Werte >500µg/l
- Negatives Ergebnis schließt SVT nicht ausGerinnungsfaktoren
- Großes Blutbild mit Thrombozyten
- Untersuchung auf Faktor II und V-Leiden Mutation, Faktor VIII- Erhöhung, Protein-S- oder Protein C Mangel, ATIII-Mangel, Antiphospholipid-Antikörper, Plasminogenmangel, Prothrombin G20210A Mutation, Homocystein,
- Liquordiagnostik
- Gel. milde Zellzahlerhöhung, DD septische Sinusvenenthrombose
- Selten Albuminerhöhung
- Liquordruckmessung
- Diagnostik zum Ausschluß von DD (z.B. SAB)
Elektroenzephalographie
- Diffuse Verlangsamung
- Herdbefunde
Ophthalmologische Diagnostik mit Fundoskopie
- Ca. 40% Stauungspapille
Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Untersuchung bei V.a. septische Sinusvenenthrombose
- Fokussuche
Therapie
Akutbehandlung
- Niedermolekulares gewichtsadapiertes Heparin (seltener Heparin induzierte Thrombozytopenie)
- Therapie auch in Schwangerschaft möglich
- Intravenöses unfraktioniertes Heparin (mit Bolus), Ziel 2-fache Erhöhung vom Ausgangswert
- Heparinbehandlung auch bei Stauungsblutungen sinnvoll!
- Bei schwerer Symptomatik
- Thrombolyse mit rt-PA
- Transfemorale intravenöse Thrombektomie
Folgebehandlung
- Orale Antikoagulation
- Ziel INR 2-3
- Dauer ca. 12 Monate (unter MRT Verlaufskontrollen)
Symptomatische Behandlung
- Epilepsie
- Antikonvulsive Therapie in Akutphase fortführen
- Prognose im Verlauf meist günstig
- Residuale Epilepsie in nur 5-10% der Fälle
- Risiko am höchsten bei hämorrhagischer kortikaler Läsion
- Kopfschmerzen
- Paracetamol, Metamizol
- Bei starken Schmerzen Opioide
- Hirndruck
- Acetazolamid
- Ventrikuloperitonealer Shunt
- Akut auch: Furosemid
Septische Thrombose
- Antibiotika abhängig vom Infektionsherd
Verlauf
- >80% im langfristigen Verlauf beschwerdefrei
- <8% mit schwerer Behinderung oder letalem Ausgang
- Rezidivrate ca. 2%
- Rezidive nach SVT in Schwangerschaft selten
- Keine Kontraindikation bei Auftreten in Schwangerschaft
Differenzialdiagnose
- Hypoplasie des Sinus (transversus), cerebraler Insult, Subarachnoidalblutung, Migräne mit Aura, Donnerschlagkopfschmerz, New daily persistent headache (u.a. Kopfschmerzen), Pseudotumor cerebri (auch Folge einer SVT), Herpes Enzephalitis, intracerebraler Tumor