• Liebe

    Warner Bros - Frankreich, Deutschland, Österreich 2012

    Nein, dieser Film zeichnet kein romantisches Bild der Liebe, erzählt keine von Sentimentalitäten geprägte Happy-End-Story, auch wenn man dies aufgrund seines Titels zunächst vermuten könnte. Vielmehr schockiert er den ahnungslosen Zuschauer mit seiner schonungslosen Darstellung des langsamen und schrittweisen Sterbens von Körper und Geist, beleuchtet die zunehmenden Gebrechlichkeiten und die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den pflegenden Ehepartner und bleibt dabei doch ruhig, fast unheimlich ruhig.
    Erzählt wird die Geschichte von Anne (Emmanuelle Riva) und George (Jean-Louis Trintignant), einem alten, in Liebe verbundenen Ehepaar, die den Ruhestand und die gemeinsamen Ereignisse wie einen Konzertbesuch genießen, bis Anne eines Morgens am Frühstückstisch einen Schlaganfall erleidet. Es folgt ein Klinikaufenthalt mit einer Operation, die misslingt und eine dauerhafte halbseitige Lähmung Annes mit sich bringt. Die einst virtuose Pianistin ist nunmehr auf den Rollstuhl angewiesen und meistert die ungewohnte Hilflosigkeit anfänglich tapfer und scheinbar beherrscht, bis ein missglückter Suizidversuch ihre tatsächliche Gefühlslage erkennen lässt.
    Rührend kümmert sich George um seine geliebte Frau, die ihm jedoch immer mehr entgleitet, erfüllt ihr den Wunsch, nie wieder in eine Klinik verbracht zu werden, bis zur Selbstaufgabe und entlässt selbst seine einzige Hilfe, eine wenig einfühlsame Pflegerin, deren Umgang mit seiner Frau ihm würdelos und erniedrigend erscheint. Unterbrochen wird die Isolation der beiden nur kurz und von wenigen Menschen, z.B. vom Hausmeister und der Putzfrau, aber auch von einem früheren Klavierschüler Annes, der nunmehr selbst zum gefeierten Pianist avanciert ist. Selbst die einzige Tochter des Paares (Isabelle Huppert) vermag die verzweifelte Symbiose nicht aufzubrechen: sie - in der Mitte des Lebens stehend - ist dem Elternhaus entwachsen und zu sehr mit eigenen Problemen belastet, um die Bedürfnisse und Gedanken der Eltern nachvollziehen zu können.
    Dem Regisseur Michael Haneke, dessen Werk „Das weiße Band" bereits mit einem Golden Globe und zwei Oscar-Nominierungen ausgezeichnet wurde, gelingt mit „Liebe" die Darstellung einer tiefen Liebe, die die Konfrontation mit dem Alter, den Gebrechlichkeiten, mit Schnabeltassen, Verwirrtheit, versagenden Stimmbändern und dem Einnässen nicht abschreckt und die bereit ist, alles zu geben, sich selbst aufzugeben und letztlich sogar das loszulassen bzw. mit eigenen Händen dem erlösenden Tod zu übergeben, was man am meisten liebt. Keine leichte Kost, aber ein Lehrstück über das Leben und die Liebe, das noch lange zum Nachdenken anregt!
    © Christine Thilmann | Neurologienetz.de

     

     

     

     

     

     

     

     

  • Ziemlich beste Freunde

    Senator Film - Frankreich 2011

    Gegensätzlicher könnten sie kaum sein: auf der einen Seite der wohlhabende querschnittsgelähmte und nahezu bewegungsunfähige Philippe (Francois Cluzet),der, umsorgt von seinem Personal, aber gleichwohl einsam, ein imposantes Pariser Palais bewohnt, und auf der anderen Seite der junge durchtrainierte Immigrant Driss (Omar Sy), der sich, gerade aus der Haft entlassen, neuorientieren muss, nachdem auch seine Mutter ihn aus der mit der mehrköpfigen Familie bewohnten Wohnung geworfen hat.

    Beide führt ein Bewerbungsgespräch für eine von Philippe ausgeschriebene Krankenpfleger-Stelle zusammen, die Driss zunächst lediglich als Alibibewerbung für seine Arbeitslosenversicherung benötigt. Philippe gelingt es, Driss für den Job zu ködern, und nach und nach werden sie „ziemlich beste Freunde".
    Wüsste man es nicht besser, man würde diese anrührende, Brücken schlagende Tragikkomödie wohl allzu leicht als unrealistischen Kitsch abtun. Doch nein, sie beruht auf einer wahren Begebenheit, und so mag man der Geschichte dieser ungleichen Freundschaft eine Chance geben - und wird positiv überrascht. Natürlich werden Klischees bedient, wenn der Pfleger den an allen vier Gliedmaßen Gelähmten mit dem Maserati durch Paris kutschiert, seinen Rollstuhl tunt, um es ihm zu ermöglichen, die Touristen auf ihren Segways zu überholen, wenn er sich - mit kindlicher Naivität - in abstrakter Malerei versucht oder sich angesichts eines singenden Baumes in der Oper kaum mehr vor Lachen halten kann. Gleichwohl wagen es die Regisseure des Films, Olivier Nakache und ErikToledano, Tabus zu brechen und den Blick des Zuschauers zwischen den komischen Szenen auch immer wieder auf die grausamen Details des Lebens eines Tetraplegikers zu lenken: auf nächtliche Schmerz- und Panikattacken, Depressionen, die Notwendigkeit der Darm- und Blasenentleerung mittels Katheter und Beutel sowie die Unmöglichkeit, die vor dem Gesicht geschwenkte Schokolade zu greifen und ohne Hilfe essen zu können, was Driss grausam und doch wahr mit den Worten zusammenfasst: „Keine Arme, keine Schokolade!"
    Die rasche Abfolge der komischen und tragischen Filmsequenzen erlaubt es kaum, vor dem Ende des Filmes inne zu halten und eine Entscheidung zu treffen, sich ihm zu- oder abzuwenden. Man wird mitgerissen und hofft auf ein Happy-End für die beiden Außenseiter oder „Unberührbaren" (Intouchables), wie der Titel des französischen Originals lautet. Diese Hoffnung wird nicht enttäuscht. Die Zuschauer danken es: Der dritterfolgreichste französische Film aller Zeiten zieht die Zuschauer auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz in die Kinos und wurde mit zahlreichen Nominierungen (u.a. für den europäischen Filmpreis 2012) und Preisen (so z.B. DIVA Publikumspreis 2012) ausgezeichnet.
    © Christine Thilmann | Neurologienetz.de