Mit insgesamt 7.300 Teilnehmenden, davon 5.300 vor Ort, war der 97. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vom 6. bis 9. November 2024 in Berlin unter dem Vorsitz von Kongresspräsident Prof. Dr. Sven G. Meuth, Düsseldorf, der bisher erfolgreichste Kongress der DGN. Unter dem Motto „Neurologie und Immunologie – gemeinsame Perspektiven“ trafen sich im CityCube Berlin Expertinnen und Experten aus Klinik, ambulantem Bereich und Forschung zu einem auch in diesem Jahr exzellenten Programm aus Vorträgen, Fortbildungen und Workshops. Dabei beschränkte sich das Angebot nicht auf (neuro-)immunologische Themen wie z.B. die „Entzündung als Schlüsselmechanismus“, sondern erfasste die gesamte Bandbreite der Neurologie und trug insbesondere neuesten Entwicklungen wie z.B. dem Stand der Antikörper-Zulassung für die Alzheimer-Therapie Rechnung. Bereits die Eröffnungsveranstaltung zum Thema „Wie immun ist unsere Demokratie?“ schlug den Bogen zu den aktuellen gesellschaftlich relevanten Fragen: Keynote-Speaker Albrecht von Lucke, charismatischer Jurist und Publizist, lieferte mit seinem Vortrag über die Widerstandsfähigkeit unserer Demokratie einen inspirierenden Auftakt. Die Junge Neurologie als Nachwuchs-Organisation der DGN partizipierte u.a. mit interdisziplinären Vorträgen zu Umweltfragen und Klimaerwärmung im Hinblick auf die damit einhergehenden Herausforderungen für die Neurologie. Darüber hinaus zeichnete sich der DGN-Kongress 2024 nicht nur durch seine wissenschaftliche Tiefe und Bandbreite aus, sondern beeindruckte auch mit professioneller Organisation und nachhaltigem Konzept, das u.a. im rein vegetarischen Catering, im Verzicht auf Plastikbecher und in der Verwendung unweltfreundlicher Teilnehmerausweise und Kongresstaschen aus recycelten Materialien deutlich wurde.
Neurologienetz war für Sie vor Ort, - wir berichten über die Highlights:
Von Dr. Christine Thilmann I 11.01.2025
Neurologie meets Immunologie: Entzündung als Schlüsselmechanismus vieler neurologischer Erkrankungen
Mit dem wissenschaftlichen Schwerpunkt auf „Neurologie und Immunologie“ widmete sich der DGN-Kongress 2024 dem Thema „Entzündungen“ als Schnittstelle von Neurologie und Immunologie. Kongresspräsident Prof. Dr. Sven G. Meuth, Düsseldorf, betonte die zentrale Rolle von Entzündungsprozessen bei vielen – auch neurologischen - Erkrankungen und das daraus resultierende noch weitgehend ungehobene therapeutische Potential. Im Rahmen des Presidential Symposium mit dem Titel „Immunologie ohne Grenzen“ referierte zunächst der Immunologe Prof. Dr. Tobias Bopp, Mainz, mit seinem Grundlagenvortrag über die Rolle des Immunsystems und stellte immunologische Wegen und Pathomechanismen als Komponenten verschiedener Erkrankungen dar. Der Rheumatologe Prof. Dr. Georg Schett, Erlangen, lenkte anschließend den Blick hin zu rheumatologischen Erkrankungen und erläuterte am Fall einer einer jungen Lupus-erythematodes-Patientin die spektakulären Erfolge der CAR-T-Zell-Therapie, die hinsichtlich ihrer B-Zell-depletierenden Wirkung auch im Gewebe gegenüber monoklonaren Antikörpern wie Rituximab überlegen ist, und nicht mehr nur ausschließlich in der Onkologie, sondern zunehmend auch in der Therapie von Autoimmunerkrankungen zum Einsatz gelangt. Aus neuroanatomischer Sicht beleuchtete sodann Prof. Dr. Stefanie Kürten, Bonn, die Bedeutung der Immunologie bei der Therapie entzündlicher ZNS-Erkrankungen und erklärte am Beispiel der Multiplen Sklerose als dem Prototypen einer chronischen Autoimmunerkrankung des ZNS die Bedeutung der Darm-Hirn-Achse und die Zusammenhänge zwischen dem Konsum von Kuhmilch und der Krankheitsaktivität. Abschließend präsentierte Prof. Dr. Michael Platten, Mannheim, neue Ansätze aus der Tumorimmunologie, die darauf abzielen, T-Zellen gegen Hirntumore in Stellung zu bringen.
Alzheimer-Update: Stand der Antikörper-Zulassung
Nachdem die europäische Arzneizulassungsbehörde EMA der Zulassung von Lecanemab, dem in den USA und anderen Ländern bereits seit Mitte 2023 zugelassenen Antikörper gegen Alzheimer, zunächst eine Absage erteilt hatte, war die für Mitte November 2024 angekündigte erneute Beschlussfassung der EMA auch auf dem DGN-Kongress 2024 ein viel diskutiertes Thema. Zwischenzeitlich hat die EMA Lecanemab als ersten Antikörper gegen Alzheimer in Europa zugelassen.
Auch wenn dieser Antikörper-Wirkstoff, der sich gegen das Proteinfragment β-Amyloid im Gehirn richtet, die Alzheimer-Erkrankung weder zu heilen noch zu stoppen vermag und lediglich ihr Fortschreiten verlangsamt, befürwortete die DGN bereits im Vorfeld des DGN-Kongresses die Zulassung von Lecanemab. Die Gründe für die Befürwortung der Zulassung führte Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, im Rahmen der Vorab-Pressekonferenz zum DGN-Kongress 2024 wie folgt aus: „Die Betroffenen warten dringend auf eine Therapieoption, und für diejenigen, für die diese Behandlung infrage kommt, ist sie eine große Chance. Sie hemmt die Progression um etwa ein Drittel, und es macht einen großen Unterscheid, ob ich als Betroffener ein oder eineinhalb Jahre im Frühstadium der Erkrankung verbleibe, wie es die Zulassungsstudien gezeigt haben. Wir reden hier über ein geschenktes halbes Jahr bei noch guter Lebensqualität.“
Davon abgesehen befeuere eine Nichtzulassung soziale Unterschiede, weil finanziell bessergestellte Patienten sich die Medikamente aus dem Ausland beschaffen könnten. Nur im Rahmen einer Zulassung sei es außerdem auch am Forschungsstandort Deutschland möglich, entsprechende Daten zu erheben und Erfahrungen mit der Antikörper-Therapie zu sammeln. Hätten erste Anzeichen für eine Demenzerkrankung wie z.B. zunehmende Vergesslichkeit – in Ermangelung wirksamer Therapien – bislang keine weiterführende Diagnostik zur Folge gehabt, gelte es im Zuge einer Zulassung von Lecanemab, die Frühdiagnostik voranzutreiben, um eine Selektion der für diese Therapie in Frage kommenden Patienten – ausschließlich an Morbus Alzheimer-Erkrankte im Frühstadium ohne Blutungsproblematik, ohne Bluthochdruck, ohne Schlaganfallrisiko, etc. – zu ermöglichen. Für die mit großen Kosten und Aufwand verbundene Lecanemab-Therapie sei es zudem erforderlich, fachärztliche Kapazitäten, eine spezialisierte MR-Bildgebung und Infusionsplätze auszubauen, um die Verabreichung des Antikörper-Wirkstoffs zu ermöglichen und sachgerecht zu überwachen. Auch für die wichtige psychologische Betreuung seien Kapazitäten zu schaffen.
Da es derzeit noch keinen zugelassenen und allgemein verfügbaren Bluttest auf die Alzheimer-Demenz gibt, sei erfolge die Diagnose entweder mittels Lumbalpunktion oder durch ein bildgebendes, aber mit Strahlenbelastung verbundenes Verfahren, die sog. Amyloid-Emissions-Tomographie (Amyloid-PET). Auch im Hinblick auf andere Formen der Demenz dürfte eine frühzeitige Diagnose betroffenen Patienten insofern weiterhelfen, als sie Anlass bietet, über die bereits bekannten 14 Risikofaktoren für sämtliche Demenzen aufzuklären, die von den Betroffenen zum Teil persönlich beeinflusst werden können, wie z.B. Übergewicht, Diabetes, Sehstörungen, Schwerhörigkeit und soziale Isolation.
Flyin‘ high - Drogen und Gehirn/Deutsche Hirnstiftung e.V.
Bis auf den letzten (Steh-)Platz besetzt war das Symposium der Deutschen Hirnstiftung e.V. zum Thema „Flyin‘ high – Drogen und Gehirn“ auf dem DGN-Kongress 2024. Präsident und Präsidentin der Deutschen Hirngesellschaft, Prof. Dr. Frank Erbguth, Nürnberg, und Prof. Dr. Kathrin Reetz, Aachen, geleiteten die Zuhörerschaft mit Humor und dem – vor dem Hintergrund einer Verdreifachung der Anzahl der Drogentoten in Deutschland in den letzten zehn Jahren – doch gleichzeitig gebotenen Ernst durch die Welt der Drogen und ihre Auswirkungen.
Magic Mushrooms auf Rezept?/Prof. Dr. Frank Erbguth
Mit seinem Beitrag „Magic Mushrooms auf Rezept?“ referierte Prof. Dr. Frank Erbguth einleitend über die Wirkungen und Anwendung von Drogen allgemein sowie über die psychoaktiven Substanzen im Besonderen. Dabei liefert die Natur ein breites Spektrum, von Tollkirsche, Fliegenpilz und Muskatnuss sowie dem Peyotl-Kaktus bis hin zu so exotischen Hallozinogenen wie dem Schleim der südamerikanischen Aga-Kröte und dem aus einer Lianen-Art hergestellten Ayahuasca. Die - zum Teil synthetisch optimierten Inhaltsstoffe solcher natürlich vorkommenden Substanzen erlebten – nach den Erfahrungen mit LSD in den 50er Jahren - eine Renaissance in der Psychotherapie bei der Behandlung von Depressionen, Angststörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen, so Erbguth, wobei viele Fragen beispielsweise hinsichtlich Dosierung, Therapiedauer und sicherer Abgabe noch offen seien. Auch ihre zum Teil plastizitätfördernde Wirkung könnte aus neurologischer Sicht interessant sein und Anlass zu weiterer Forschung geben.
Anschließend widmete sich Prof. Dr. Oliver Kastrup, Essen, mit seinem Beitrag „99 Luftballons – Trenddroge Lachgas und Nervensystem“ dem schon im Jahr 1772 als Partydroge in England bekannten Lachgas, das in den 50er Jahren auch medizinisch – vor allem im zahnärztlichen Bereich für Kurz-Narkosen – zur Anwendung kam. Während eine Verwendung im medizinischen Kontext weiterhin als unbedenklich zu erachten sei, drohten den meist jugendlichen Party-Konsumenten im privaten Bereich – insbesondere aufgrund der Art und Weise, der heutigen Verfügbarkeit in Großzylindern und des Gebrauchs über Dispenser, Schlauch, Masken, Tüten, etc. – durch dieses preislich günstige und in Deutschland freiverkäufliche Gas erhebliche Gefahren wie Erstickung, Kälte- und Lungenschäden, Pneumothorax und Larynxödem. Als mittelbare Folge seien aufgrund der mit dem Konsum verbundenen möglichen Nebenwirkungen wie Schwindel, Ohnmacht, Übelkeit auch Stürze und eine zu Unfällen führende Einschränkung der Verkehrstüchtigkeit (beispielsweise bei Nutzung von E-Scootern) wahrscheinlich; ebenso sei das Sturzrisiko einzubeziehen, wenn berauschte Konsumenten meinten „schweben“ zu können und sich in großer Höhe in Gefahr begeben. Aus neurologischer Sicht sei das Augenmerk auf den bei Heavy-Usern zu beobachtenden Vitamin-B12-Mangel zu richten: Bei Leukenzephalopathien, Parästhesien, Ataxie, sensomotorischen Störungen sowie PNP, Spastizität, funikulärer Myelose, GBS-artigen Verläufe u.ä. gelte es, vor allem bei jungen Patienten, die aufgrund veganer Ernährung zum Teil ohnehin niedrige B12-Spiegel haben, nunmehr möglichst auch einen eventuell vorliegender Langzeit-Konsum von Lachgas abzuklären. Die in der Praxis zunehmend zu beobachtenden Nebenwirkungen sollten nach Ansicht von Kastrup Teil der Differentialdiagnose in Notaufnahmen werden und der Lachgaskonsum sollte aktiv erfragt werden, um nicht nur eine korrekte Diagnose zu gewährleisten, sondern auch, um User ggf. über die mit dem Konsum verbundenen Risiken aufklären zu können.
Cannabis – Droge oder Therapeutikum/Priv. Doz. Dr. Peter Neu
Die Frage „Cannabis – Droge oder Therapeutikum?“ stellte Priv.-Doz. Dr. Peter Neu, Berlin, in seinem Beitrag zum Symposium vor dem Hintergrund des seit dem 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis. Das Endocannabinoidsystem, bestehend aus endogenen Cannabinoiden, Cannabinoidrezeptoren und verschiedenen Proteinen, als Teil des Nervensystems spiele - bereits während der Schwangerschaft - in der Hirnentwicklung, -reifung und -modulation, aber auch hinsichtlich Gedächtnis, Gesichtserkennung und immunologisch eine große Rolle. Die Hauptbestandteile von Cannabis – THC zum einen und Cannabidiol zum anderen – wirkten unterschiedlich: THC ist psychoaktiv und hat einen entspannenden und schlaffördernden Effekt bis hin zur Euphorie, könne aber auch psychotische halluzinogene Zustände auslösen, wohingegen das und Cannabidiol als nicht-psychoaktive und daher eher unbedenklicher Wirkstoff zu erachten sei.
Während der Einsatz von medizinischem Cannabis im Rahmen der - nur auf Btm-Rezept möglichen - Therapie vor der Teillegalisierung allein der ärztlichen Kurierfreiheit oblegen und oft beide Komponenten in unterschiedlicher Dosierung enthalten habe, reiche nun ein herkömmliches Rezept. Die beiden Fertigarzneimittel Nabiximol (mit seiner Zulassung für die Behandlung von Spastik bei MS) und Nabilon (zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Rahmen der Chemotherapie) würden mit Erfolg eingesetzt, wohingegen die positiven Effekte der Cannabis-Therapie bei anderen Indikationen nur vereinzelt (bei Behandlung der kindlichen Epilepsie, wohl auch bei posttraumatischen Belastungsstörungen), nur eingeschränkt (wie bei chronischen neuropathischen Schmerzen) oder sogar gänzlich fraglich bzw. noch nicht ausreichend erforscht (ALS, ADHS, Parkinson, Gilles-de-laTourette, Morbus Huntington und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen) oder insgesamt wohl eher symptombezogen (Relaxation, Schlafförderung, etc.) seien. Demgegenüber stünden die oft gravierenden Gesundheitsrisiken v.a. des THC-Konsums wie cannabisinduzierte Psychosen, Cannabis-Intoxikation, Schizophrenie und Cannabis-Abhängigkeit. Abschließend beleuchtete Priv. Doz. Dr. Neu die zu erwartenden Folgen der Teillegalisierung kritisch im Hinblick auf den Gebrauch von Cannabis zu Genusszwecken und die damit einhergehenden Herausforderungen für das Gesundheitssystem.
Alkohol – aktuelle Studienlage/Dr. Anne-Sophie Lydia Biesalski
Dr. Anne-Sophie Lydia Biesalski, Bochum, präsentierte mit ihrem Symposiums-Beitrag zum Thema „Alkohol – aktuelle Studienlage“ im wahrsten Sinne des Wortes ernüchternde Fakten zum Alkoholkonsum. Sie verwies sowohl auf die aktuelle Kampagne der WHO sowie auf das jüngst erschienene Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Ernährung , in dem ausdrücklich zur Alkoholabstinenz geraten und darauf verwiesen wird, dass auch der maßvolle Konsum nicht für unbedenklich zu erachten sei. Nachvollziehbar sei dies, wenn man berücksichtige, dass mehr als 200 Krankheiten durch Alkoholkonsum mitverursacht seien und es beispielsweise im Jahr 2019 weltweit 2,6 Millionen Todesfälle infolge Alkoholkonsums –unter Einbeziehung alkoholbedingter (Verkehrs-)Unfälle – gegeben habe.
Trotz eines veränderten Konsumverhaltens in Form eines leichten Konsumrückgangs bei jungen Menschen und des Trends zu weniger hochprozentigen alkoholischen Getränken zähle Deutschland mit einem Gesamtkonsum an reinem Alkohol von ca. 10 Litern pro Jahr und Kopf zu den „Hochkonsumländern“. Desinformationskampagen der Alkoholindustrie insbesondere in Form der Präsentation von Studienergebnissen, ausweislich derer ein moderater Alkoholkonsum gegenüber gänzlicher Abstinenz sogar gesundheitliche Vorteile habe (sog. „J-Kurve“), seien überholt, nachdem sich herausgestellt habe, dass unter den Studienteilnehmern, die einen „Null-Alkohol-Konsum“ angegeben hatten, viele abstinente Ex-Alkoholkranke waren, bei denen sich die Folgen eines früheren Alkoholkonsums bereits manifestiert hatten.
Aus neurologischer Sicht gelte es, die folgenden neurologischen Alkohol-Folgeerkrankungen zu beachten, die häufig nicht im Fokus stünden, aber mit einer massiven Lebensbeeinträchtigung verbunden seien: alkoholbedingte Verletzungen (z.B. SHT), Anfallsereignisse, Alkoholentzugsdelir, Wernicke-Encephalopathie und ggf. daraus folgendes Korsakow-Syndrom, Polyneuropathie, Kleinhirnatrophie, Myopathie, Amblyopie, Marchiafava-Bignami-Syndrom (Corpus-callosum-Degeneration), Alkoholembryopathie, zentrale pontine Myelionolyse (insbesondere beim Delir) sowie ganz allgemein eine Beeinträchtigung der Immunkompetenz sowie der Wirkung einiger Medikamente. Die alkoholische Polyneuropathie zähle zu den häufigsten neurologischen Alkohol-Folgeerkrankungen, die wohl auf einer direkten Toxizität von Ethanol oder Acetaldehyd beruhe und die u.a. Störungen des Lageempfindens sowie mit Parästhesien, neuropathischen Schmerzen, den sog. „burning feet“ sowie Wadenkrämpfen zur Folge habe. Dass der Konsum von Alkohol als Genuss empfunden werde, beruhe auf seinen akuten Effekten auf das Gehirn und seinem Wirken im Belohnungssystem durch die Aktivierung verschiedener Neurotransmitter wie Opioiden, Serotonin, GABA, Glutamat und Dopamin.
Planetary Health sowie Global Health und Neurologie/Junge Neurologie
Mit zwei spannenden interdisziplinären Veranstaltungen widmete sich die Junge Neurologie auf dem DGN-Kongress 2024 den aktuellen Herausforderungen unsere Zeit: dem Thema „Planetary Health“ im Sinne des Einflusses von Umweltfaktoren auf unsere Gesundheit sowie der Bedeutung der „Global Health“, also globalen Gesundheitsfragen, die sich einerseits durch die Veränderung der klimatischen Bedingungen sowie als Folge politischer Konflikten und daraus resultierender Migrationsbewegungen stellen, andererseits aber auch aus den in einer globalisierten Welt möglichen neuen Unterstützungs- und Entwicklungschancen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung in unterversorgten Ländern ergeben.
Moderiert von Ameli Breuer, Berlin, und Thales Bandeira, Heidelberg, wurde die Session „Planetary Health“ mit einem Vortrag von Dr. Kimberly Crystal Doell, Wien, online zugeschaltet aus den USA, eingeleitet. Sie zeigte die wechselseitige Beziehung zwischen der sich verändernden Umwelt und der Hirngesundheit auf: Mit dem Temperaturanstieg und extremen Wetterbedingungen allgemein sowie Luft- und Wasserverschmutzungen, Massenproduktion von Nahrungsmitteln sowie durch Vektoren übertragene Erkrankungen und insbesondere Zoonosen gebe es eine Vielzahl von Faktoren, die sich auf unseren Alltag und unsere Gesundheit auswirkten. So habe sich beispielsweise gezeigt, dass die Blut-Hirn-Schranke, deren Aufgabe es ist, schädliche Stoffe vom Gehirn fernzuhalten, bei erhöhten Temperaturen durchlässiger wird und ihre Schutzfunktion nicht mehr ausreichend erfüllen kann, was Entzündungen zur Folge haben könne und die normalen Denkprozesse beeinträchtige. Auch Zusammenhänge zwischen dem durch Klimaveränderungen verursachten Stress und dem Auftreten von Ängsten bei jungen Menschen seien belegt. Dem gelte es entgegenzutreten, so Doell, indem man in diesem Bereich noch mehr forsche, seine Gesundheit stärke und sich für den Klimaschutz engagiere. Mit dem Zurücklegen einer Wegstrecke mit dem Fahrrad leiste man z.B. sowohl einen Beitrag zum Klimaschutz als auch zur eigenen Hirngesundheit. Abschließend verwies Doell auf die von Burcin Ikiz gegründete „Neuro Climate Working Group“ ein globales multidisziplinäres Team von Wissenschaftler:innen aus den Bereichen Neurowissenschaften, Neurologie, Psychologie, Epidemiologie und Experten aus der Politik, die durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und innovative Forschung Neuro- und Umweltwissenschaften zu verbinden versuchen, um die öffentliche Gesundheit weltweit zu verbessern.
Im Anschluss erläuterte Prof. Dr. Markus Naumann, Augsburg, mit seinem Vortrag „Umwelt- und Wettereinflüsse auf den Schlaganfall: Was ist gesichert?“ die bereits evidenzbasierten Erkenntnisse zum Einfluss von Wetter- und Hitzeereignisse auf das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, der nach der WHO die häufigste umweltbedingte Todesursache noch vor den kardiovaskulären Erkrankungen ist. Das – veränderbare - Exposoms (Vermeulen et al, Science 2020) als die Gesamtheit aller nicht-genetischen endogenen wie exogenen Umwelteinflüsse, denen ein Individuum lebenslang ausgesetzt sei, könne je nach der – nur schwer oder gar nicht beeinflussbaren – individuellen Vulnerabilität aufgrund genetischer Prädisposition, Alter und/oder Geschlecht des Individuums Folgen in Form bestimmter neurologischer Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson, Demenz, Multipler Sklerose sowie Depression oder Angststörung haben. Für das Risiko eines Schlaganfalls seien Luftschadstoffe (Feinstaub, Gase), Mikroplastik, Wettereinflüsse, Stress und das Mikrobiom von Bedeutung. Eine Vielzahl unterschiedlicher Luftschadstoffe seien als der Umweltfaktor zu bewerten, der am höchsten zur Mortalität allgemein beitrage und das Auftreten vieler neurologischer Erkrankungen begünstige und beeinflusse. Menschen, die über einen längeren Zeitraum in der Nähe (< 100m) vielbefahrener Straßen lebten, hätten infolge der damit verbundenen Feinstaubbelastung ein signifikant erhöhtes Schlaganfallrisiko ebenso wie ein erhöhtes Blutungsrisiko. Aber auch schon eine Kurzzeitbelastung z.B. in Form eines einwöchigen Aufenthalts in einer Metropole mit hoher Feinstaubbelastung erhöhe das Schlaganfall-Risiko umfangreichen Studien zufolge – jedenfalls für einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen - beträchtlich. Auch die Größe der Partikel sei in diesem Zusammenhang relevant. Ähnliche Schlussfolgerungen ließen sich aus der Belastung von Patienten mit Mikro- und Nanoplastik im Gewebe ziehen.
Auch dass Temperaturerhöhungen das Schlaganfallrisiko erhöhten, stehe inzwischen außer Frage: Im Winter bewirke der sog. Atlantische Tiefausläufer von den britischen Inseln, der milde/feuchte Luft aus dem Westen kombiniert mit niedrigem Luftdruck (zyklonisch) mit sich bringe, eine signifikante Zunahme des Schlaganfall-Risikos, wohingegen ein hoher Luftdruck bei geringere Temperatur und kalter, aber trockener Luft das Risiko reduzierten. Hitzeextreme insbesondere in Form heißer Nächte lassen das Schlaganfall-Risiko ebenfalls evident ansteigen; besonders betroffen von diesem Problem seien die Städte, die sich aufheizen und in der Nacht keine Abkühlung bieten; erstaunlicherweise bewirkten aber auch Kälteeinbrüche eine Risikoerhöhung vor allem für Frauen, so dass man ganz allgemein davon sprechen könne, dass Wetterextreme risikoerhöhend wirkten.
Auch Stress sei als schlaganfall-relevanter Faktor zu benennen. Erste Anhaltspunkte gebe es schließlich für Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und dem Schlaganfall sowie zu den Auswirkungen eines erlittenen Schlaganfalls auf das Mikrobiom.
Hinsichtlich aller dieser Faktoren sei eine weitere Forschung sowie Aufklärung der Patienten wünschenswert, so Naumann, um diese modifizierbaren Einflüsse besser zu verstehen und den daraus resultierenden Risiken vorbeugen zu können.
An der abschließenden Podiumsdiskussion beteiligten sich u.a. Prof. Dr. Daniela Berg, Kiel, als Vizepräsidentin der DGN und künftige Präsidentin sowie Max Bürck-Gemassmer als stellvertretender Vorsitzender der „Deutschen Aliianz Klimawandel und Gesundheit“ (KLUG) , der maßgeblich zum Aufbau des „Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin“ beigetragen hat. Prof. Dr. Berg betonte die Notwendigkeit eines allgemeinen Verständnisses für solche Umweltfaktoren sowohl im Hinblick auf die Interaktion mit dem Patienten und seine Aufklärung, als auch im Sinne eines allgemeinen Auftrags als Bürger und als Fachgesellschaft gegenüber der Gesellschaft und der Politik. Max Bürck-Gemassmer berichtete schließlich von seinen Erfahrungen im Hinblick auf klimasensible Gesundheitsberatung und die Erarbeitung von Muster-Hitzschutz-Plänen auch für Praxen.