Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)
Chronische Polyneuritis, Chronisch inflammatorische Polyradikuloneuritis
- Erstbeschreibung durch Dyck et al. 1975
Ätiologie
- Autoimmune Neuropathie mit vorwiegend primär demyelinisierender Schädigung
- Gel. als Begleiterkrankung bei entzündlichen rheumatoiden oder metabolischen Erkrankungen, Sarkoidose
- Frgl. vereinzelt wohl auch paraneoplastische Genese (z.B. MGUS) ev. als separates Krankheitsbild zu werten
Epidemiologie
- Prävalenz ca. 1-8/100000
- m>w
- Jüngere Patienten eher mit schubförmig remittierendem Verlauf
- Höheres Alter korreliert mit ungünstigerem Verlauf
Symptome
- Langsam entwickelnde motorische und sensible Defizite (Wochen bis Monate) in mindestens 1 Extremität über mind. 2 Monate
- Symmetrische proximale (und/oder distale) Paresen (>90%)
- Sensibilitätsstörungen vergleichsweise gering ausgeprägt, alle sensiblen Qualitäten betroffen, insbesondere Oberflächen- und Tiefensensibilität
- Parästhesien, Hypästhesie, Dysästhesie (>60%)
- Gel. sensible Gangataxie
- Wadenkrämpfe
- Hirnnerven (u.a. Ophthalmoplegie, faziale Parese)
- Atemmuskulatur selten betroffen
- Autonome Beteiligung möglich, aber selten (siehe auch "Untersuchung")
Besonderheiten bei der klinischen Untersuchung
- Muskeleigenreflexe abgeschwächt/erloschen
- Bei proximalen Paresen, Schwierigkeiten beim Aufstehen aus dem Sitzen und oder Treppensteigen
- Feinmotorikstörung bei sensiblen Defiziten
- Atrophien der Muskulatur?
- Faszikulationen?
- Vegetative Symptome?
- Erektile Dysfunktion
- Blasenfunktionsstörungen
INCAT Diagnosekriterien der CIDP
Klinik
- Motorische und sensible Defizite in mehr als einer Extremität
- Langsam progredienter oder schubförmiger Verlauf für mehr als 2 Monate
- Abgeschwächte oder erloschene Muskeleigenreflexe
Elektrophysiologie
- Nachweis eines partiellen Leitungsblocks oder einer zeitlichen Dispersion an mind. zwei Nerven und
- Nachweis einer verlangsamten Nervenleitgeschwindigkeit, distal motorischen Latenz oder F-Wellen Latenz eines weiteren Nervs oder
- bei Fehlen eines Leitungsblocks oder zeitlicher Dispersion:
- Nachweis einer verlangsamten Nervenleitgeschwindigkeit, distal motorischen Latenz oder F-Wellen Latenz in mind. drei Nerven oder
- bei elektrophysiologischen Auffälligkeiten nur an zwei Nerven:
- Nachweis einer Demyelinisierung in einer Nervenbiopsie
Liquor
- <10 Leukozyten/µl
- Liquordiagnostik nicht zwingend erforderlich
*INCAT: Inflammatory Neuropathy Cause and Treatment Group
EFNS/PNS-Kriterien
(European Federation of Neurological Societies/Peripheral Nerve Society)
Elektrodiagnostische Kriterien
(1) Definitive CIDP
Vorliegen von mindestens einem der folgenden Kriterien
- a) Verlängerung der dmL ≥50% über dem oberen Normwert (ULN) an zwei Nerven (Ausschluß einer Medianusneuropathie bei Karpaltunnelsyndrom) oder
- b) Reduktion der motorischen NLG ≥30% unterhalb des unteren Normwertes (LLN) an zwei Nerven oder
- c) Verlängerung der F-Wellen Latenz ≥30% des oberen Normwertes an 2 Nerven (bzw. ≥50% wenn die Amplitude des distalen negativen Peaks des MSAP <80% unterhalb des unteren Normwertes) oder
- d) Fehlen der F-Wellen in zwei Nerven, falls die distalen negativem MSAP ≥20% des unteren Normwertes in diesen Nerven liegen) +≥ ≥1 anderer demyeliniserender Parameter in ≥ 1 anderen Nerv oder
- e) Partieller motorischer Leitungsblock an 2 Nerven (≥50% Amplitudenreduktion des proximalen negativen Peaks im Vgl. zum distalen Peak), wenn der distale negative Peak ≥20% des unteren Normwertes LLN liegt, an zwei Nerven oder an einem Nerv und ≥1 anderer demyelinisierender Parameter in ≥1 anderen Nerven oder
- f) Verlängerte zeitliche Dispersion an mindestens ≥2 Nerven (≥30% Verlängerung zwischen ersten und distale, negativen Peak des MSAP) oder
- g) Verlängerung der disalen MSAP Dauer (Intervall zwischen Beginn des ersten negativen Peaks und Rückkehr zur Grundlinie des letzten negativen Peaks) in ≥1 Nerven (Medianus ≥6,6ms, Ulnaris ≥6,7ms, Peronaus ≥7,6ms, Tibialis ≥8.8ms) +≥1 anderer demyelinisierender Parameter in ≥1 anderen Nerven
(2) Wahrscheinliche CIDP
- ≥ 30 % Amplitudenr des proximalen negativen MSAP-Peaks, verglichen mit distal (gilt nicht für den N. tibialis), falls/wenn der distale negative MSAP-Peak ≥ 20 % der LLN liegt, in zwei Nerven oder in einem Nerv und ≥ 1 andere demyelinisierende Parameter in ≥ 1 anderen Nerven
(3) Mögliche CIDP
- Kriterien wie unter Punkt (1), aber nur in einem Nerven
Abk:
- ULN: Upper Level of Normal
- LLN : Lower Level of Normal
Quelle European Journal of Neurology 2010, 17: 356-363
Kriterien mit >90% Sensitivität
Diagnostik
- Nervenleitungsgeschwindigkeitsmessung
- Nachweis von Demyelinisierungen
- Verlängerte DML , verlangsamte NLG, pathologische F-Wellen in mindestens 2 motorischen Nerven, partieller Leitungsblock in mind. 1 Nerven
- Siehe auch o.g. Diagnosekriterien
- Nachweis von Demyelinisierungen
- EMG
- Diagnostik autonomer Störungen:
- Herzfrequenzvarianzanalyse
- Liquor
- Erhöhung des Liquoreiweißes (>45mg/dl), Zellzahl <10/µl (>90% pathologisch)
- Bei 30-40% keine Eiweißerhöhung bei Erstpunktion
- Labor
- Routinelabor zum Ausschluß symptomatischer PNP (siehe dort), monoklonale Gammopathie (Bence-Jones-Proteinurie?)
- Nervenbiopsie
- Bei zweifelhaften Fällen
- Fokale Demyelinisierung
- MRT zervikaler/lumbosakraler Plexus
- Gel. Gadoliniumanreicherung in betroffenen Nervensegmenten nachweisbar
- Genetische Diagnostik
Therapie (detaillierte Informationen erst nach Ärzte-Login)
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Immunglobuline
- Subkutane oder intravenöse Gabe
- Dosierung angepasst an klinische Symptomatik
Kortikoide
- Dosis abhängig von Klinik, Therapiedauer häufig 3-6 Monate
- Plasmapherese bei fehlendem Ansprechen auf o.g. Therapien
Alternative Therapien
- Cyclosporin A
- Azathioprin
Diagnostische Sicherheit
- Sichere CIDP
- Klinische, elektrophysiologische Liquor und bioptische Kriterien erfüllt
- Wahrscheinliche CIDP
- Klinische, elektrophysiologische Liquor Kriterien erfüllt
- Mögliche CIDP
- Klinische, elektrophysiologische Kriterien erfüllt
Verlauf
- Chronisch progredient
- Schubförmig remittierend
- In 70% Ansprechen auf Therapie
- Immunglobuline:
- Normalerweise Besserung nach wenigen Tagen
- Bei unzureichender Besserung nach 3 Monaten Therapie kritisch hinterfragen
Differentialdiagnose
- Hereditäre motorisch sensible Polyneuropathien
- Medikamentös toxische Polyneuropathien
- Paraneoplastische Polyneuropathien, MGUS assoziierte Polyneuropathie
Weiterführende Literatur
- Klinik und Diagnostik von chronischen Immunoneuropathien.Tschernatsch M., Blaes F., Klin Neurophysiol 2010; 41:224-235