Normaldruckhydrocephalus (ICD-10 G91.2)
Hydrocephalus malresorptivus, H. communicans, H. occultus, chronischer Hydrocephalus
- Erste Fallbeobachtung und Beschreibung 1957 durch Salomon Hakim (kolumbianischer Neurochirurg, 1922-2011), Veröffentlichung durch Dr. Raymond Adams 1965
- 1966 Einführung eines Ventils mit der Möglichkeit der Druckregulierung druch Salomon Hakim
Ätiologie
- Idiopathisch
- Symptomatisch nach :
Subarachnoidalblutung, Meningitis, Schädelhirntrauma
Epidemiologie
- Inzidenz: ca. 1-5%/100.000
- Prävalenz: Allgemeinbevölkterung ca. 0,4-0,8%, ca. 3% > 65 Jahre
- Auftreten>60 Jahre
- Häufige Komorbidität mit Alzheimer und vaskulärer Demenz (>2/3 d.P.)
Pathophysiologie
- Abflusswiderstand des Liquors erhöht, erhöte Liquordruckwellen
- Abnehmende Elastizität der basalen Hirnarterien
- Geminderte Perfusion des perivetrikulären Gewebes, mit konsekutiver Schädigung und Ventrikelerweiterung
Symptome
Gangstörung: (meist initial)
- Gangunsicherheit, Gleichgewichtsstörungen
- Gangbild zunehmend verlangsamt, kleinschrittig, am Boden klebend, "Magnetphänomen"
- Häufig Hemmung der Ganginitiierung (gel. isoliert auftretend)
- Probleme beim Aufstehen vom Sitzen, Treppensteigen, Zwischenschritte bei Drehbewegungen
- Standunsicherheit
Hirnorganisches Psychosyndrom
- Apathie, psychomotorische Verlangsamung
- Störung der Aufmerksamkeit und Konzentration
- Störung exekutiver Funktionen
- Kurzzeitgedächtnisstörungen
Blasenstörung: (gel. spät im Verlauf)
- Störung des frontalen Basenzentrums
- Initial häufig lediglich Pollakisurie (>6x/12 Stunden)
- Im Verlauf Dranginkontinenz/Urge-Inkontinenz
- Nykturie (>2x/Nacht)
Besonderheiten bei der klinischen Untersuchung
- „Parkinson-Syndrom der unteren Körperhälfte"
- Leichte Brady- /Hypokinese, obere Extremität nur gering betroffen
- Starthemmung beim Laufen
- Breitbasiges Gangbild
- Füße haften am Boden
- Außenrotation der Füße beim Laufen
- Drehen um die eigene Achse erschwert (vermehrte Schritte)
- Seiltänzergang
- Retropulsionsneigung im Stehen, beim Gehen, teilweise Sitzen
- Standunsicherheit, Zunahme bei Augenschluß
- Im Liegen meist gute Beinbeweglichkeit
- Kein Rigor, keine Hypomimie, normales Mitschwingen der Arme beim Laufen
- Psychometrische Testung
Therapie
- Operation mit Anlage eines ventrikuloatrialen oder ventrikuloperitonealen Shunts
- Indikation zur OP:
- Besserung nach diagnostischer Liquorpunktion
- Hohes Aufkommen an B-Wellen bei kontinuierlicher Liquordruckmessung
- Eventuell wiederholte Liquorpunktionen in mehrmonatigen bei langfristiger Besserung nach LP
Diagnostik
Psychometrische Testung
- MMST, Uhrentest und Demtect wenig geeignet!
- Stroop-Test
- Trail-Making-Test
- Zahlenspanne (Digit-Span-Test)
Blasenfunktionsstörung
- Beurteilung der Form der Inkontinenz
- Miktionsprotokoll
CCT/MRT
- Erweiterung und Verplumpung der Seitenventrikel und Erweiterung III. Ventrikel, kortikale Sulci normal weit, Polkappen über den Vorderhörnern (Liquordiapedese/Minderperfusion)
- Evan's Index >0,3 (Quotient maximale Ventrikelweite Vorderhörner/maximaler Schädeldurchmesser auf gleicher Schnittebene)
- Verkleinerung des Corpus-Callosum-Winkels (<90 Grad), Messung in koronarer Schichtung, Höhe Commisura posterior)
Diagnostische Liquorpunktion
- Liquordruck:
- Normal oder nur leicht erhöht (Norm max. 15mm Hg beim liegenden Patienten)
- Entnahme von 30-50ml Liquor, eventuell wiederholt in mehrtägigen Abständen
- Gehfähigkeit
- Vor und nach dem Liquorablassversuch Untersuchung des Gangbildes (Schrittweite, Geschwindigkeit, Haltungsinstabilität)
- Besserung meistens innerhalb der ersten 2 Stunden, im Verlauf gel. Besserung durch Liquorleck
- Psychometrische Testung:
- Siehe oben
- Wortflüssigkeit, Kurzzeitgedächtnis (inkonstante Ergebnisse)
- Meist nur mäßige Besserung der Kognition
- Mitktionsprotokoll
- Durchführung vor und nach Liquorentnahme
- Ev. Anlage eines intrathekalen Katheters zur kontinuierlichen Liquorablassung
- Bei Liquordruckmessung Nachweis von Druckschwankungen (sog. B-Wellen) mit intermittierend erhöhten intrakraniellen Drücken
Dopplersonographie
- Nach Entnahme von Liquor Zunahme des Carotisflusses mit erhöhtem diastolischen Fluß (inkonstant)
Ev. Liquorabflußwiderstandsmessung
Verlauf
- Gute Prognose bei im Vordergrund stehender Gangstörung (ca. 50% profitieren von OP)
- Gangstörung postoperativ häufig deutlich gebessert, ebenso Antriebsminderung
- Kognitive Defizite sprechen auf Operation bei längerer Persistenz geringer an, ebenso Blasenstörung
- Häufig postoperative Komplikationen (erneute Verschlechterung, Ventilstörungen, Katheterfehllage, Infektionen, Subduralhämatome)
- Ohne Operation deutlich gesenkte Lebenserwartung
Differenzialdiagnose
- Morbus Parkinson, frontale Gangstörung,
- Multisystematrophie
- Keine demenzielle Symptomatik
- Hyperaktive Blase, Harnverhalt und Urge-Inkontinenz
- Orthostatische Dysreguation, Dystonie
- Polyneuropathie
- Hydrocephalus occlusus
- Vaskuläre Demenz
- Hier ebenfalls gel. frontale Gangstörung
- Blasenfunktionsstörungen untypisch
- Alzheimer Demenz
- Keine Gangstörung
- Inkontinenz nur im Rahmen der Demenz, keine Blasenfunktionsstörung